Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
meinem eigenen Herzen. Eine Nacht mit Jaka, um mich von ihm zu verabschieden.« Meralda klopfte Tori auf den Arm, während sie aufstand, um zu gehen. »Jetzt schlaf wieder.«
»Nur wenn du versprichst, mir morgen alles zu erzählen«, erwiderte Tori. »Versprich es, oder ich werde dich verraten.« »Du wirst mich nicht verraten«, sagte Meralda überzeugt, denn sie erkannte, dass Tori genauso von der Romantik der ganzen Sache verzaubert war wie sie selbst. Vielleicht sogar noch mehr, denn das jüngere Mädchen erkannte die lebenslangen Auswirkungen dieser Entscheidungen nicht so deutlich wie Meralda.
»Geh wieder schlafen«, sagte Meralda sanft und küsste Tori auf die Stirn. Nachdem sie sich das Kleid glatt gestrichen hatte, während sie einen nervösen Blick zum Türvorhang des Raumes warf, ging Meralda zu dem kleinen Fenster hinüber und stieg in die Nacht hinaus.
Dohni Ganderlay sah, wie seine älteste Tochter in die Dunkelheit verschwand, und wusste sehr gut, was sie vorhatte. Ein großer Teil in ihm wollte ihr folgen, sie mit Jaka überraschen und den lästigen Jungen einfach töten, doch er vertraute zugleich auch darauf, dass seine Tochter zurückkommen würde, dass sie tun würde, was für die Familie am besten war, so wie sie es an diesem Morgen zu ihrer Schwester gesagt hatte.
Es brach ihm fast das Herz, denn er kannte die Verlockungen einer jungen Liebe sehr wohl. Er beschloss, ihr diese Nacht zu schenken, ohne Fragen zu stellen oder über sie zu richten.
Meralda hatte Angst, als sie durch die Dunkelheit schritt. Nicht vor irgendwelchen Monstern, die sie anfallen mochten – nein, dies war ihre Heimat, und vor solchen Dingen hatte die junge Frau sich noch nie gefürchtet –, sondern vor der Reaktion ihrer Eltern, insbesondere ihres Vaters, falls sie ihr Verschwinden entdecken sollten.
Schon bald aber hatte die junge Frau ihr Zuhause hinter sich zurückgelassen und verlor sich in dem Zauber des Sternenhimmels. Sie kam zu einem Feld und begann sich im Kreis zu drehen und zu tanzen. Sie genoss das feuchte Gras unter ihren nackten Füßen und fühlte sich, als könnte sie sich bis zum Himmel hinaufrecken, um sich mit diesen magischen Lichtpunkten zu vereinen. Sie sang leise vor sich hin, eine ruhige Melodie, die dazu passte, wie sie sich hier draußen fühlte, allein und im Frieden mit sich und den Sternen. Sie hatte kaum einen Gedanken für Lord Feringal, für ihre Eltern, ihre Verantwortung oder sogar für ihren geliebten Jaka. Sie dachte überhaupt nicht, sie existierte einfach nur in der Schönheit der Nacht und des Tanzes.
»Warum bist du hier?«, erklang hinter ihr Jakas wispernde Stimme. Die Magie verschwand, und Meralda drehte sich langsam zu dem jungen Mann um. Er stand mit den Händen in den Taschen da und hatte den Kopf gesenkt, so dass ihm das lockige Haar ins Gesicht fiel und sie nicht einmal seine Augen sehen konnte. Plötzlich wurde die junge Frau von einer anderen Furcht erfasst, der Furcht, dass das, was sie schon lange erahnte, heute Nacht mit diesem Mann geschehen würde.
»Hat Lord Feringal dir Ausgang gegeben?«, fragte Jaka sarkastisch. »Ich bin nicht seine Marionette«, antwortete Meralda.
»Wirst du nicht seine Frau werden?«, entgegnete Jaka. Er schaute auf und sah Meralda mit hartem Blick an. Es bereitete ihm eine gewisse Befriedigung, die Feuchtigkeit in ihren Augen zu sehen. »Das sagen sie jedenfalls im Dorf«, fuhr er fort und verstellte dann seine Stimme. »Meralda Ganderlay«, krächzte er und klang dabei wie eine alte Gnomenfrau. »Oh, was hat sie doch für ein Glück! Man denke sich nur: Lord Feringal selbst hat sie zu sich gerufen.« »Hör auf«, bat Meralda leise.
Jaka fuhr jedoch nur umso heftiger fort und veränderte seine Stimmlage. »Und was denkt sich dieser törichte Feringal dabei?«, sagte er jetzt in dem rauen Ton eines Mannes aus dem Dorf. »Er bringt Schande über uns alle, wenn er so tief unter seinem Stand heiratet. Und das, wo sich hunderte hübscher und reicher Kaufmannstöchter um seine Hand streiten würden. Ah, der Narr!« Meralda drehte sich weg und kam sich in ihrem grünen Kleid nur noch albern und nicht mehr schön vor. Da spürte sie eine Hand auf der Schulter, und Jaka stand hinter ihr.
»Du musst es wissen«, sagte er sanft. »Die Hälfte von ihnen hält Lord Feringal für einen Narren, und die andere Hälfte ist von den falschen Hoffnungen geblendet, die dies alles nährt, so als ob sie ihre eigenen Liebesgeschichten durch dich noch
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