Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
einmal erleben würden; sie wünschen sich, ihr eigenes jämmerliches Leben könnte mehr wie das sein, was dich erwartet.«
»Und was denkst du?«, fragte Meralda mit fester Stimme, drehte sich zu dem jungen Mann um und zuckte zurück, als sie jetzt die Prellungen und Blessuren auf seinem Gesicht besser sehen konnte, die aufgeplatzte Lippe und das zugeschwollene Auge. Sie riss sich jedoch zusammen, da sie sehr wohl wusste, von wem Jaka diese Prügel bezogen hatte.
»Ich glaube, dass Lord Feringal sich für etwas Besseres als dich hält«, antwortete Jaka grob. »Und das ist er auch.«
»Nein!« Die Erwiderung war so scharf, dass Meralda überrascht zurückwich. »Nein, er ist nichts Besseres als du«, fuhr Jaka ruhiger fort und hob die Hand, um sanft Meraldas feuchte Wange zu streicheln. »Vielmehr bist du zu gut für ihn, aber das wird er niemals so sehen. Nein, er wird dich benutzen, wie es ihm Spaß macht, und dich dann fallen lassen.«
Meralda wollte ihm widersprechen, doch sie war sich nicht sicher, ob Jaka Unrecht hatte. Es spielte jedoch keine Rolle, denn was immer Lord Feringal mit ihr auch im Sinn hatte, das einzig Wichtige waren die Dinge, die er für ihre Familie tun konnte.
»Warum bist du hierher gekommen?«, fragte Jaka noch einmal, und Meralda hatte das Gefühl, dass er erst jetzt ihr Kleid bemerkte, denn er rieb den Stoff eines der gerüschten Ärmel zwischen Daumen und Zeigefinger, als wollte er seine Qualität prüfen.
»Ich bin hergekommen, um eine Nacht für Meralda zu haben«, erklärte die junge Frau. »Eine Nacht, in der mein Begehren wichtiger ist als meine Verantwortung. Eine Nacht…«
Sie brach ab, als Jaka ihr einen Finger auf die Lippen legte und ihn dort eine lange Zeit liegen ließ. »Begehren?«, fragte er lauernd. »Und gehöre ich dazu? Bist du so fein herausgeputzt hierher gekommen, nur um mich zu sehen?«
Meralda nickte langsam, und sofort war Jaka bei ihr, presste seine Lippen auf die ihren und küsste sie hungrig und leidenschaftlich. Sie fühlte sich, als würde sie schweben, und dann bemerkte sie, dass Jaka sie auf das weiche Gras hinabsenkte, ohne dabei den Kuss zu unterbrechen. Seine Hände glitten die ganze Zeit über ihren Körper, und sie zuckte nicht einmal zusammen, als er sie an intimen Stellen berührte. Nein, dies war ihre Nacht, die Nacht, in der sie mit dem Mann ihrer Wahl zur Frau werden würde, mit dem Mann, nach dem sie sich sehnte, und nicht dem, den die Verantwortung ihr auferlegte. Jaka schob ihr das Kleid nach oben und hatte es eilig, sich zwischen ihre Beine zu legen.
»Bitte, langsamer«, sagte Meralda sanft und nahm seinen Kopf in beide Hände. Sie hielt ihn dicht vor ihr Gesicht, so dass er ihr in die Augen schauen musste. »Ich möchte, dass es perfekt ist«, erklärte sie.
»Meralda«, hauchte der junge Mann und klang fast verzweifelt, »ich kann keine einzige Minute mehr warten.«
»Das brauchst du auch nicht«, versicherte ihm das Mädchen, zog ihn an sich und küsste ihn zärtlich.
Bald darauf lag das Paar nackt Seite an Seite im feuchten Gras, und die kühle Meeresluft kitzelte ihre Körper, während sie zum Sternenhimmel hinaufschauten. Meralda fühlte sich anders, benommen, fast wie beschwipst, und irgendwie vergeistigt, als hätte sie gerade etwas Magisches erlebt, einen Initiationsritus. Tausend Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Wie konnte sie nach dieser wunderbaren Liebesnacht mit Jaka zu Lord Feringal zurückkehren? Wie konnte sie diesen Gefühlen von purer Wonne und Wärme den Rücken zukehren? Sie fühlte sich in diesem Augenblick wundervoll, und sie wollte, dass dieser Moment immer weiter und weiter ging, bis ans Ende ihres Lebens. Bis ans Ende ihres Lebens mit Jaka. Aber das würde er nicht, wie Meralda wusste. Er würde mit Anbruch der Morgendämmerung vorüber sein und nie wiederkommen. Sie hatte ihren einen Augenblick gehabt. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle.
Für Jaka Sculi war der Moment ein wenig anders, wenn auch nicht weniger befriedigend. Er hatte Meraldas Unschuld geraubt, war dem Lord von Auckney zuvorgekommen. Er, der in den Augen von Lord Feringal nur ein armseliger Bauer war, hatte dem Burgherrn etwas genommen, das niemals ersetzt werden konnte, etwas, das wertvoller war als all das Gold und Geschmeide in Burg Auck.
Jaka mochte dieses Gefühl, doch ebenso wie Meralda fürchtete er, dass es nicht lange anhalten würde. »Wirst du mich heiraten?«, fragte er plötzlich.
Die im Mondschein wunderschön
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