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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Schlammröhre verlief zwischen zwei Halbinseln aus Gestein – den Vorbergen des Nordgebirges – und führte wie ein Trichter auf ihr Ziel zu. Die Trikonusse versammelten sich hier zu Billionen und arbeiteten in ihrem Kampf um Lebensraum an dem Milliarden-Jahre-Ziel, die gesamte Bergkette in netten, feuchten, losen Schlamm zu verwandeln, in den sie ihre Eier legen konnten. Chanter hörte dem fortwährenden Aufprall ihrer Körper auf seinem Erd-Uboot zu und stellte fest, wann immer ein Aufprall besonders schwer oder laut war, dass er allmählich dabei zusammenzuckte. Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, dass die langen Jahre hier vielleicht seiner geistigen Verfassung nicht gutgetan hatten – er hatte Platzangst entwickelt, und diese Angst vor dem weiten Raum, mit dem er sich zu konfrontieren plante, war immer stärker geworden, je näher er diesem Ziel kam.
    Nach zehn Kilometern in der Röhre verengte sich diese auf nur noch einige Meter Durchmesser, aber da Chanter sie schon kartografisch erfasst hatte, wusste er, dass er nur diesen Abschnitt durchqueren musste, um einen alten Vulkanschlot zu erreichen, in dem er an die Oberfläche steigen konnte. Ja, vielleicht fürchtete er sich etwas vor offenen Räumen, aber das wurde durch den völligen Mangel an jedweder Angst vor seiner klaustrophobischen Umgebung doch sehr ausgeglichen.
    Hinter dem schmalen Abschnitt, wo die Röhre in den Schlot mündete, waren gar keine Trikonusse mehr anzutreffen. Es schien, als verfügten diese Tiere über eine genetische Erinnerung daran, wie sie Lavawogen noch knapp entrannen, denn Chanter kannte keinen anderen Grund, warum sie sich hier nicht mehr aufhalten sollten. Er schloss den Sicherheitsgurt, neigte das Erd-Uboot in die Senkrechte und nahm rasch Kurs auf die Oberfläche, wobei das Boot beschleunigte, als der Erdboden inSchlamm überging und dann schließlich in Wasser. Hier, am Grund eines Kalderasees, brachte er das Fahrzeug wieder in die Horizontale, benutzte zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder die Trimmtanks, indem er eine Wolke von Blasen freisetzte, und fuhr auf den Uferhang zu, bewegte sich daran aufwärts und tauchte schließlich auf, die Chamäleonware eingeschaltet.
    Chanter saß dann eine ganze Weile lang da und starrte durch das zentrale Kettenglasfenster des Cockpits, während dieses auf elektrostatischem Wege von Schmutz gesäubert wurde. Unter einem bröckelnden Felshang, der bis zum Kraterrand hinaufreichte, erstickte das Ufer förmlich unter Buntblättern von einer seltsamen kränklich gelb-orangenen Farbe. Vielleicht lag das an einem vulkanischen Gift, das auch die Abwesenheit der Trikonusse im Vulkanschlot erklärte. Fast ohne nachzudenken, tippte Chanter Instruktionen in die Konsole, schickte eine Sonde in den Schlamm unter ihm, damit sie eine Probe nahm, und bemerkte dann, dass er trödelte, denn er war nicht deshalb hier. Während die Sonde einfuhr und ihre Probe automatisch ins interne Analysegerät des Bootes überführte, setzte Chanter den Förderantrieb ein und lenkte das Fahrzeug so inmitten dieser Pflanzen ans Ufer, ehe er den Sicherheitsgurt öffnete und aufstand. Ohne sich die Zeit für zu viel Nachdenken zu geben, zog er einen robusten Monofaser-Overall an und große Stiefel, die für seine Schwimmhautfüße ausgelegt waren, packte den schon vorbereiteten Rucksack und verließ das Boot.
    Draußen schnupperte er und witterte dabei einen eindeutigen Hauch Schwefeldioxid unterhalb des charakteristischen Fäulnisgestanks, wie er auf Masada herrschte – etwas war in der zurückliegenden Woche in der Nähe gestorben. Er bahnte sich mithilfe der Schere einen Weg durch die Vegetation und bedauerte dabei, dass er seinen Roboter Mick nicht mitnehmen konnte, aber dieser war nicht für ein solches Gelände geschaffen. Der Geruch wurde stärker, während Chanter seinem Weg folgte, biser schließlich zu einer Stelle gelangte, wo die Buntblätter flach gedrückt lagen, hier am Fuß eines Hangs aus bröckelnder Lava, der bis zum Kraterrand hinaufführte. Und hier entdeckte er die Quelle des Gestanks.
    Die Schnatterente lag auf dem Bauch wie eine enorm fette Katze, die sich zusammengekauert zum Sprung anschickte. Der Schnabel lag flach am Boden, und die Augenhöhlen zeichneten sich wie Löcher eines Pfefferstreuers im kahlen Schädel ab, inzwischen von den garnelenhaften Dryben wie Zugänge zu einem Wespennest benutzt. Chanter holte scharf Luft und blickte sich um. Das war ungewöhnlich, sehr ungewöhnlich,

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