Die vergessliche Mörderin
Haushalt?«
»Meine Güte! Sie will Englisch lernen, weiter nichts.«
»Sie trifft sich mit dem Attaché einer ausländischen Botschaft in Kew Gardens. Sie trifft ihn, spricht aber nicht mit ihm. Sie lässt ein Buch liegen, das er an sich nimmt.«
»Was reden Sie da?«, fragte Mrs Oliver.
»Gehört das nun ins zweite Muster? Das wissen wir noch nicht. Es wirkt unwahrscheinlich, muss es aber nicht sein. Ist Mary Restarick zufällig auf etwas gestoßen, das für das Mädchen gefährlich werden könnte?«
»Jetzt erzählen Sie bloß nicht, dass es sich um einen Spionagefall handelt!«
»Das behaupte ich auch nicht. Ich überlege nur.«
»Sie haben selbst gesagt, dass Sir Roderick senil ist.«
»Darum geht es nicht. Im Krieg war er ein einflussreicher Mann und hatte sicher mit wichtigen Dokumenten zu tun.«
»Aber das ist doch Ewigkeiten her!«
»Trotzdem kann die Vergangenheit eine Rolle spielen. Vielleicht gibt es Briefe, die eine bestimmte Person in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen! Vielleicht hat deshalb jemand ein Interesse daran, sie zu vernichten oder sie einer ausländischen Regierung zuzuleiten. Wer ist dazu besser in der Lage als eine reizende junge Dame, die einem älteren berühmten Mann hilft, das Material für seine Memoiren zusammenzustellen? Wenn nun der Stiefmutter an dem Tag etwas ins Essen getan wird, an dem die hilfsbereite Sekretärin kocht? Und wenn sie es nun so arrangiert, dass der Verdacht auf Norma fällt?«
»Also das ist einfach zu viel!«
»Ja, eben. Zu viele Muster auf einmal. Welches ist das Richtige? Das Mädchen Norma geht nach London. Sie teilt mit zwei anderen eine Wohnung. Die beiden Mädchen sind ihr fremd, aber was stellt sich heraus? Claudia Reece-Holland ist die Privatsekretärin von Normas Vater. Zufall? Oder steckt etwas dahinter? Das andere Mädchen ist ein Malermodell und kennt den so genannten Pfau, in den Norma Restarick verliebt ist. Verbindungen über Verbindungen. Und welche Rolle spielt David – der Pfau – in der Geschichte? Ist er in Norma verliebt? Es sieht so aus. Ihre Eltern lehnen ihn ab, was nur natürlich und verständlich ist.«
»Die Sache mit Claudia Reece-Holland ist allerdings komisch«, gab Mrs Oliver nachdenklich zu. »Sie ist außergewöhnlich tüchtig, wenigstens wirkt sie so. Vielleicht hat sie die Frau aus dem siebten Stock aus dem Fenster gestoßen.«
Poirot drehte sich langsam zu ihr um. »Was sagen Sie da?«
»Ach, eine Frau aus dem Wohnblock. Ich weiß nicht mal, wie sie heißt. Aber sie ist im siebten Stock aus dem Fenster gefallen – oder hat sich selber rausgestürzt.«
Poirot wurde hochrot. »Und das haben Sie mir nicht erzählt?« Mrs Oliver starrte ihn verblüfft an. »Was meinen Sie damit?«
»Ich frage Sie dauernd nach einem Todesfall. Und Sie sagen, es gibt keinen. Sie denken an nichts anderes als an den versuchten Giftmord. Dabei gibt es einen Todesfall. In den Borodene Mansions. Wann ist das gewesen?«
»Der Selbstmord? Das muss etwa eine Woche vor meinem ersten Besuch dort gewesen sein.«
»Großartig! Wie haben Sie davon erfahren?«
»Ein Milchmann hat es mir erzählt.«
»Und wie hieß die Frau?«
»Keine Ahnung. Er hat den Namen nicht erwähnt.«
»Wie alt?«
Mrs Oliver dachte nach. »Er meinte, so um die fünfzig.«
»Hm. Haben die drei Mädchen sie gekannt?«
»Woher soll ich das wissen? Erwähnt haben sie sie nicht.«
»Und Sie haben mir das einfach nicht erzählt!«
»Ach, Monsieur Poirot, ich verstehe wirklich nicht, was das mit unserem Fall zu tun haben soll.«
»Aber es existiert eine Verbindung: Unser Mädchen Norma wohnt in diesem Haus; eines Tages begeht dort jemand Selbstmord. Eine Frau fällt oder stürzt sich aus einem Fenster im siebten Stock und stirbt. Und dann? Ein paar Tage später kommt Norma zu mir, weil Sie auf einer Party meinen Namen erwähnt haben; sie erklärt, es sei möglich, dass sie einen Mord begangen habe. Verstehen Sie denn nicht? Ein Todesfall – und gleich darauf glaubt jemand, er könne einen Mord begangen haben. Ja, das muss der Mord sein.«
Mrs Oliver hätte gern »Blödsinn!« gesagt, wagte es aber nicht.
»Das muss also die Tatsache sein, die ich noch nicht kannte. Das ist das Verbindungsglied! Ich muss nachhause gehen und so lange nachdenken, bis alles ineinander greift. Endlich sehe ich einen Weg.« Er erhob sich, murmelte: »Adieu, chère Madame!«, und verließ schnell das Zimmer.
Mrs Oliver machte ihren Gefühlen Luft. »Blödsinn«, sagte sie
Weitere Kostenlose Bücher