Die vergessliche Mörderin
finden Sie nicht auch? Aber vielleicht mögen Sie keine Kriminalromane, da Sie doch selber Detektiv sind – ein richtiger, meine ich.«
»Das bin ich in der Tat, Madame«, sagte Hercule Poirot gravitätisch.
Er merkte, dass sie sich ein Lächeln verkniff, und betrachtete sie nun genauer. Auf eine etwas unnatürliche Art war sie hübsch. Das goldene Haar war kunstvoll frisiert. Es kam ihm vor, als sei sie sich ihrer selbst nicht ganz sicher und habe die Rolle der englischen Lady, die ihren Garten liebt, mühsam einstudiert. Er fragte sich, aus welcher Gesellschaftsschicht sie wohl stammen mochte.
»Sie haben einen wunderschönen Garten, Madame.«
»Lieben Sie Gärten?«
»Nicht so wie ein Engländer. Für Sie bedeutet ein Garten mehr als für uns.«
»Uns? Damit meinen Sie die Franzosen?«
»Ich bin kein Franzose, sondern Belgier.«
»Richtig, jetzt erinnere ich mich. Bitte kommen Sie doch herein. Sie wollen ja meinen Onkel besuchen.«
Sie führte ihn durch eine Terrassentür ins Haus.
»Ich habe Ihren Onkel 1944 flüchtig kennen gelernt.«
»Der Arme ist sehr alt geworden und leider fast taub.«
»Ja, es ist lange her, seit ich ihm begegnet bin. Wahrscheinlich hat er mich vergessen. Damals ging es um eine Spionage-Affäre und um die Entwicklung einer bestimmten Erfindung. Diese Erfindung verdankten wir dem Genie Sir Rodericks. Ich hoffe, er wird mich empfangen.«
»Oh, das wird er liebend gern tun. Er führt jetzt ein ziemlich langweiliges Leben. Ich muss oft nach London – wir sind auf der Suche nach einem Haus.« Sie seufzte leise. »Alte Menschen sind mitunter recht schwierig.«
»Ich weiß«, stimmte Poirot zu. »Ich bin auch oft sehr schwierig.«
Sie lachte. »Aber Monsieur Poirot. Sie sind doch nicht alt!«
»Manchmal sagt man mir das.« Poirot wirkte niedergeschlagen. »Junge Mädchen sagen es mir«, fügte er bekümmert hinzu.
»Das ist sehr unliebenswürdig. Aber leider wäre eine solche Äußerung auch unserer Tochter zuzutrauen.«
»Ach, Sie haben eine Tochter?«
»Ja. Allerdings ist sie meine Stieftochter.«
»Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, sie kennen zu lernen«, erklärte Poirot höflich.
»Sie – sie ist leider nicht hier. Sie ist in London, sie arbeitet dort.«
»Heutzutage haben alle jungen Mädchen einen Beruf.«
»Ja, anscheinend gehört es dazu. Selbst als Verheiratete sollen sie weiter ins Büro gehen oder Lehrerin spielen.«
»Und Sie, Madame? Wie steht es mit Ihnen?«
»Ich bin in Südafrika aufgewachsen und erst vor Kurzem mit meinem Mann nach England gekommen. Für mich – ist hier alles noch sehr fremd.«
Mit einem Blick, dem nach Poirots Meinung jede Begeisterung fehlte, sah sie sich um. Das Zimmer war hübsch, aber konventionell möbliert und wirkte völlig unpersönlich – bis auf zwei große Porträts. Das eine zeigte eine schmallippige Frau im grauen Abendkleid, das an der gegenüberliegenden Wand einen energisch aussehenden Mann von etwa dreißig Jahren. »Vermutlich findet Ihre Tochter das Landleben langweilig?«
»Ja, sie ist viel lieber in London. Hier gefällt’s ihr nicht.« Sie hielt plötzlich inne und sagte dann: »Und mich mag sie auch nicht.«
»Unmöglich!«, rief Poirot emphatisch.
»Wieso denn? Ich glaube, das kommt oft vor. Junge Mädchen finden sich wohl schwer mit einer Stiefmutter ab.«
»Hat Ihre Tochter ihre richtige Mutter so geliebt?«
»Offenbar. Sie ist schwierig – aber das sind wahrscheinlich die meisten jungen Mädchen.«
Poirot seufzte mitfühlend. »Mütter und Väter haben heutzutage so wenig Einfluss auf ihre Töchter. In der guten alten Zeit war das anders.«
»Ja, das kann man wohl sagen.«
»Ich wage kaum, es laut auszusprechen, Madame, aber ich muss Ihnen gestehen, wie bedauerlich ich die Wahllosigkeit finde, mit der sie sich ihre – ihre Freunde aussuchen.«
»In der Beziehung hat Norma ihrem Vater auch schon viel Kummer bereitet. Aber da hilft kein Jammern. Jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen. So, nun will ich Sie zu Onkel Roddy bringen. Er wohnt oben.«
Sie ging vor. Poirot blickte über die Schulter zurück. Ein langweiliger Raum, von den Porträts abgesehen, hatte er keine Spur von Atmosphäre. Dem Abendkleid nach mussten sie vor etlichen Jahren gemalt worden sein. Falls das die erste Mrs Restarick war, dachte Poirot, so hätte ich gern auf ihre Bekanntschaft verzichtet.
»Das sind ausgezeichnete Bilder, Madame«, sagte er.
»Ja, Lansberger hat sie gemalt«, entgegnete Mary
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