Die verlorene Bibliothek: Thriller
würden sich von nichts und niemandem aufhalten lassen.
Das Geheimnis des Bewahrers war hier, und Jason und sein Kollege würden erst wieder gehen, wenn sie es in Händen hielten.
KAPITEL EINUNDDREISSIG
N EW Y ORK – 9:00 U HR EST (14:00 U HR GMT )
Der Sekretär hob ruhig das Scotchglas an die Lippen und genoss das Ergebnis einer zwanzigjährigen Lagerung im Eichenfass. Das war das Beste, was die Highlands zu bieten hatten. Zwar war er nicht wirklich ein Whiskeykenner, aber er wusste, was Männer mit Macht trinken sollten, und das hier war ein Drink, wie ihn sich nur die Mächtigen leisten konnten. Jede Flasche kostete über vierhundert Dollar, vor allem, weil sie direkt aus der Brennerei in Schottland eingeflogen wurde, abgefüllt von einem Mann, von dem man dem Sekretär versichert hatte, er mache das nur für ihn. So trank er nun einen Drink, den im wahrsten Sinne des Wortes niemand sonst auf der Welt genießen konnte.
Vor ihm lag das Buch, die kritischen Seiten aufgeschlagen. Der Sekretär blätterte sie zum hundertsten Mal durch. Es war so klar, so offensichtlich. Es bestand kein Zweifel daran, worauf es hindeutete.
Absolut kein Zweifel . Es war fast so, als hätte der Bewahrer gewollt, dass sie das entdeckten.
Jason war vor neun Stunden abgeflogen. Inzwischen müsste der vertrauenswürdigste Freund des Rates in Oxford eingetroffen sein. Die Kirche, die in dem Buch beschrieben und mit einem Foto illustriert wurde, war der optische Mittelpunkt der Stadt – oder zumindest war sie das gewesen. Die BBC, deren Sendungen der Sekretär über eine Satellitenschüssel empfing, berichtete, dass mehr als die Hälfte des alten Gebäudes in Trümmern lag, nachdem es vor nunmehr zwei Tagen von einer schweren Explosion erschüttert worden war. Der Sekretär achtete sorgfältig auf alle Details. Die Explosion hatte um 5:30 Uhr englischer Zeit stattgefunden. Das fiel zeitlich nahezu perfekt mit der Exekution des Bewahrers zusammen, viertausend Meilen weit entfernt. Verbindungsnachweise, die leicht zu bekommen gewesen waren, hatten bestätigt, dass der alte Mann früher an jenem Tag mit Oxford telefoniert hatte.
Es fiel dem Sekretär nicht schwer, den infantilen, nach Rache dürstenden Plan des Bewahrers zu durchschauen. Der alte Mann hatte gewusst, was auf ihn zukam. Er hatte die Liste bekommen, die Hines’ unfähiger Assistent hatte durchsickern lassen, und er hatte gewusst, dass sie ihn nun nicht mehr leben lassen würden, nicht nachdem er von ihren Plänen erfahren hatte. Und er wusste auch, dass mit seiner Hinrichtung die eintausenddreihundertjährige Suche des Rates enden würde, und der alte Bastard hatte ihnen diese bedauernswerte Tatsache auch noch unter die Nase gerieben. Er hatte gewollt, dass sie die Seiten finden, dass sie den Ort entdeckten, doch nur um dann zuschauen zu müssen, wie ihnen der Zugang verwehrt wurde. Das war ihre letzte Hoffnung gewesen, ihr größtes Ziel zu erreichen, und nun war diese Hoffnung zerstört. Der Bewahrer verspottete sie noch im Tod. Er hatte sichergestellt, dass sie ganz genau sahen, welche Mühen er noch in seinen letzten Stunden auf sich genommen hatte, um sie in Schach zu halten.
Der dumme Mann.
Das Einzige, was der Sekretär bedauerte, war, dass der Feind, mit dem er über so viele Jahre lang gekämpft hatte, nie die Gelegenheit gehabt hatte, das ganze Ausmaß ihrer Macht zu sehen. Doch nun, da sie sein Täuschungsmanöver durchschaut hatten, würde der Rat all die Macht, die er über die Jahrhunderte hinweg angesammelt hatte, dafür verwenden, ihre Queste zum Abschluss zu bringen. Das Ende war unvermeidlich. Sie würden ihr Ziel in Amerika in Angriff nehmen – der Erfolg war garantiert –, und auch ihr größtes Ziel, die Bibliothek selbst, würde ihnen gehören. Der Sekretär fühlte das in seinem Blut.
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG
O XFORD – 14:00 U HR GMT
Emily Wess stieg die Holztreppe zu Professor Wexlers Räumlichkeiten hinauf. Die Treppe war Jahrhunderte nach dem Gebäude gebaut worden, dennoch war auch sie schon antik. Emily erinnerte sich daran, wie sie als Doktorandin immer wieder versucht hatte, diese Stufen unbemerkt hinaufzusteigen, doch stets ohne Erfolg. Das Knarren des alten Holzes hatte sie jedes Mal verraten.
Das Büro des Professors sowie ein kleines Badezimmer, eine ebenso kleine Küche, ein Wohn- und ein kleines Schlafzimmer – in der Tradition von Oxbridge schlicht ›Räumlichkeiten‹ genannt – lagen im zweiten Stock eines der Gebäude
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