Die verlorene Bibliothek: Thriller
zu … zu …«
»Zu offensichtlich.« Kyle gestattete sich ein zufriedenes Lächeln.
Emily nickte widerwillig, aber anerkennend.
»Und dann ist da noch die Sache mit den zwei Königinnen«, fuhr Kyle fort. »Dr. Wess, Sie waren zehn Minuten drin, und obwohl die Kirche nur noch ein Trümmerhaufen ist, haben Sie die beiden Königinnen gefunden und auch den Punkt genau zwischen ihnen. Bedeckt von Schutt, ja, aber sie haben ihn gefunden. Was Hinweise betrifft, sind die ziemlich eindeutig, meinen Sie nicht?« Kyle wurde immer aufgeregter. Er konnte sich kaum noch zurückhalten. »Wenn es hier wirklich um die Bibliothek von Alexandria geht«, fuhr er fort und fasste seine Beobachtungen zusammen, »und wenn die Hinweise, die Arno Holmstrand Ihnen hinterlassen hat, dazu dienen, seine Entdeckung nicht in die falschen Hände fallen zu lassen, dann gibt es da ein wesentliches Problem.«
»Und das wäre?«
»Sie verbergen nichts vor niemandem. Sie sind geradezu lächerlich klar und völlig ungeeignet, wenn man wirklich etwas geheim halten will. Selbst Schulkinder könnten dieses Rätsel in ein paar Tagen entschlüsseln.«
»Arno Holmstrand war kein Narr, Kyle«, mischte Wexler sich in das Gespräch. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass ihm nichts Besseres eingefallen ist, um seine wahren Absichten zu verschleiern.«
»Da haben Sie vollkommen recht, Professor«, erwiderte Kyle. Er begann zu gestikulieren, je näher er dem Rätsel kam.
»Doch die Tatsache, dass diese Hinweise so simpel, so offensichtlich sind, bedeutet für mich keineswegs, dass ich sie für schlecht halte. Stattdessen halte ich sie sogar für … für brillant.« Er schaute Emily in die Augen, die nun wirklich neugierig geworden war. »Ich glaube, Ihr Professor hat diese Hinweise extra entworfen, um jemanden in die Irre zu führen. In zweierlei Hinsicht sogar. Zum einen wollte er, dass sie mysteriös genug sind, damit Sie sich damit beschäftigen würden. Er wollte, dass Sie die Einzelteile zusammenfügen und glauben, dass Sie das Rätsel gelöst haben. Tatsächlich soll jeder , der sie liest, das Gefühl haben, sie verbergen ein Geheimnis. Er wollte Erwartungen wecken und den oder die Leser dann in die Irre führen. Aber sie müssen auch noch eine andere Funktion haben. Auf den ersten Blick sind sie eine Täuschung. Sie verbergen ihren wahren Sinn. Fallen sie in die falschen Hände, führen sie denjenigen in die falsche Richtung.«
Ein doppeltes Täuschungsmanöver. Emily ging die unterschiedlichen Möglichkeiten im Kopf durch und war mehr und mehr überzeugt von Kyles Ausführungen. Doch eine Tatsache brachte Kyles Theorie ins Wanken. Eine Tatsache, die im wahrsten Sinne des Wortes um sie herum verstreut lag. »Aber was ist mit all dem hier?« Emily deutete auf die Trümmer auf dem Platz. »Die Zerstörung der Kirche scheint die simplere Deutung zu bestätigen. Wenn der Hinweis nicht auf diesen Ort verweist, warum sollte dann jemand den Turm in die Luft jagen? Offensichtlich hat irgendjemand geglaubt, hier sei ein wichtiges Stück Information verborgen.«
Kyle hielt inne, aber nur kurz. So unwahrscheinlich es auch klingen mochte, er war sicher, recht zu haben.
»Das ist auch wieder so ein Täuschungsmanöver«, antwortete er. »Es soll der falschen Deutung Glaubwürdigkeit verleihen.« Emily schnappte nach Luft. Das war nun wirklich ein wenig drastisch. Doch Kyle war von seiner Theorie überzeugt. »Ich glaube nicht, dass eine dritte Partei die Kirche in die Luft gejagt hat«, erklärte er. »Ich glaube, dass war Holmstrand selber.«
»Grundgütiger!«, rief Wexler und riss entsetzt die Augen auf. Was Kyle da sagte, war schier unglaublich. All diese Zerstörung sollte nur ein Täuschungsmanöver gewesen sein? Wenn er recht hatte und Holmstrand, oder wer auch immer involviert war, bereit war, solch eine Zerstörung zu verursachen – physisch wie auch historisch und kulturell – und das nur, um irgendwelche Verfolger abzuschütteln, dann war das, worin Emily Wess verstrickt war, weitaus größer, als Wexler sich vorgestellt hatte. Es war größer als alles, was er bis jetzt in seiner akademischen Karriere gesehen hatte. Groß genug, um einen Historiker dazu zu bringen, etwas zu tun, was kein Historiker je tun würde: Geschichte zu zerstören.
Die drei Akademiker starrten lange auf die Ruine der alten Kirche.
Als Kyle wieder das Wort ergriff, war seine Aufregung verflogen. Den Blick auf das zerstörte Wahrzeichen gerichtet, erklärte er
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