Die verlorene Bibliothek: Thriller
Sichtschirm getrennt, reich verziert und aus dunklem Holz. Meisterschnitzer aus alter Zeit hatten komplizierte Pflanzenmuster in das Holz geschnitten, die auch heute noch so aussahen wie am ersten Tag. Nur im oberen Bereich des Schirms hatte sich ein wenig Staub angesammelt, doch diesen Teil bekamen die Gläubigen, die sich im Schiff versammelten, eigentlich nie zu sehen. Von ihrem Standort aus konnte Emily nicht nur den Staub erkennen, sondern auch, dass das Holz dort heller war, als sei es erst vor kurzem bearbeitet worden. Sie trat näher heran, und was von weitem lediglich wie ein paar Kratzer ausgesehen hatte, nahm nun Form an.
Es waren Buchstaben, Worte, umringt von grob geritzten Linien, und da war ein kleines Symbol – das Symbol.
Emily hatte es gefunden.
Grob in das Holz gekratzt war dort ein Symbol, das dem in Arnos Brief bis auf die kleinste Kleinigkeit glich: die Buchstaben Beta und Eta, darüber ein Abkürzungszeichen und darum ein Schmuckrahmen. Das unscheinbare, schlichte Symbol, das ›unsere Bibliothek‹ repräsentierte. Und unter dem kleinen Viereck standen eine Reihe scheinbar unzusammenhängender Worte.
KAPITEL VIERUNDVIERZIG
17:30 U HR GMT
Emily starrte lange und fasziniert auf das geheimnisvolle Zeichen. Geschichte, Abenteuer … All das war plötzlich fassbar und real. Emily musste unwillkürlich an all die Blockbuster aus Hollywood denken mit ihren Pappmaché-Tempeln und Statuen aus falschem Gold. Da sie aus dem ländlichen Ohio stammte, wo man nicht gerade an jeder Ecke ein Abenteuer fand, hatte Emily schon als Kind eine fast jungenhafte Liebe zu Abenteuerfilmen entwickelt. Und natürlich war Indiana Jones ihr Lieblingsfilm.
Aber das hier ist echt, Indiana . Sie war zutiefst zufrieden.
Das hier war Emily Wess’ erste echte Entdeckung. Für sich allein genommen war sie ja vielleicht nichts wert – ein paar Kratzer auf einem alten Stück Holz –, aber ihre Bedeutung war weitaus größer. Emily war nun endgültig davon überzeugt, dass das, was Arno über die Bibliothek von Alexandria gesagt hatte, der Wahrheit entsprach, und dass dieses kleine Puzzleteil hier sie schlussendlich zu einer derart großen Entdeckung führen würde, wie man sie sich kaum vorstellen konnte.
Und wenn sie jetzt schon so weit gekommen war, dann konnte sie auch noch weitergehen.
Emily schaute sich die grobe Schnitzerei noch mal an. Das war Arnos Symbol; daran bestand kein Zweifel. Und darunter standen in ebenso groben Buchstaben ein paar Worte:
P TOLEMÄUS ’ E RBE G LAS S AND L ICHT
Der Name des ägyptischen Königs war ihr zwar vertraut, doch Emily hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was die anderen Worte in diesem Zusammenhang zu bedeuten hatten. Auch wenn ihre Freude groß war, das Symbol entdeckt zu haben, dieses zweite Rätsel war noch verwirrender als das erste.
Aber es war ein Schritt nach vorn. Emily war dank des Wissens anderer so weit gekommen, und nun würde sie noch einmal auf sie zurückgreifen müssen, wenn sie wissen wollte, wie es weiterging. Sie brauchte Hilfe.
Emily holte ihr Blackberry aus der Tasche und drückte einen silbernen Knopf, um die Kamera zu aktivieren. Dann machte sie drei Fotos von der Kritzelei, um sicherzustellen, dass sie zumindest auf einem Bild gut zu erkennen war. Sie war fest entschlossen. Sie und Wexler hatten sich zwar erst zum Abendessen wieder verabredet, doch sie wusste, dass ihre Entdeckung viel zu wichtig war, als dass sie hätte warten können. Emily steckte das Handy wieder weg, verließ die Quelle und ging zum Heim des Professors.
KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG
N EW Y ORK – 12:30 U HR EST (17:30 GMT )
Das Gefühl der Klarheit und Offenbarung, das der Sekretär vor zwei Stunden empfunden hatte, war einer nüchternen, konzentrierten Entschlossenheit gewichen. Er zwang sich, die Schultern zu entspannen, während er auf den typischen doppelten Klingelton wartete, der ihm verraten würde, dass die Verbindung nach England hergestellt war.
Vor einer Stunde hatten seine Männer in Minnesota seine Neuinterpretation des mysteriösen Endes des Bewahrers bestätigt. Der Rat war in die Irre geführt worden, um der Gesellschaft Zeit zu geben, einen neuen Bewahrer einzusetzen, und die Männer des Sekretärs waren dazu verleitet worden, in Trümmern zu wühlen, während der Bewahrer einen neuen Helfer rekrutiert hatte. Mehr und mehr war der Sekretär davon überzeugt, dass seine Männer in England einer Fata Morgana hinterherjagten. Ein Täuschungsmanöver. Arno
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