Die verlorene Bibliothek: Thriller
gemeint.
Das Schweigen hielt noch ein paar Augenblicke lang an. Erst als der Wagen sich dem Hintereingang des Obersten Gerichtshofs näherte, wurde es gebrochen.
»Das wird der größte Prozess, den das Land je gesehen hat«, bemerkte Brad Whitley. »Aber Gott sei Dank haben wir klar denkende und vernünftige Männer wie Sie, die uns durch diese Krise führen.«
KAPITEL SECHSUNDSIEBZIG
I STANBUL – 17:35 U HR
Der kleine Wagen, mit dem Athanasius Emily hatte abholen lassen, raste über die Küstenstraße, die das Herz von Istanbul mit dem Flughafen verband. Es war eine moderne Autobahn mit dem ungewöhnlichen Namen: Kennedy Caddesi. Der alte Audi, der mindestens zwanzig Jahre alt zu sein schien, knarrte und stöhnte vor Anstrengung. Emilys Fahrer grinste noch immer von einem Ohr zum anderen. Er verstand offenbar kein Englisch, schien aber fest entschlossen, sie so schnell wie möglich zu ihrem Ziel zu bringen.
Emily bemühte sich, das Puzzle des Tages zusammenzusetzen. Sie konzentrierte sich auf die Informationen, die ihr tatsächlich zur Verfügung standen, und versuchte, sich nicht allzu viel Sorgen um Michael zu machen … oder um sich selbst. Anderenfalls würde sie noch verrückt werden.
Was auch immer der Grund für ihre Verlegung gewesen war, die Bibliothek war offensichtlich nicht mehr in Alexandria. Die Geschichtswissenschaft betrachtete sie als verloren oder zerstört, doch Emily wusste nun, dass sie schlicht versteckt worden war. Die Verlegung nach Konstantinopel hatte durchaus Sinn ergeben. Die neue Reichshauptstadt war sicher, und nach dem Niedergang Roms war sie zum neuen kulturellen Zentrum der Welt geworden, und das sollte sie auch bleiben, bis sie fast tausend Jahre später an die Osmanen fiel. Und selbst dann hatte sie sich ihre große Bedeutung bewahrt, nur jetzt als Zentrum eines islamischen Reiches mit einem mächtigen Sultan und unbesiegbaren Armeen. Doch auch diese Zeit war schließlich vorbeigegangen. Die Geburt der modernen Türkei im Jahre 1923 hatte alles verändert. Zum ersten Mal, seit Kaiser Konstantin die Stadt im Jahre 330 n. Chr. zu seinem Regierungssitz gemacht hatte, war sie keine Hauptstadt mehr.
Doch wenn die Bibliothek tatsächlich irgendwann mal hier gewesen war, dann ergab es durchaus Sinn, dass Holmstrand Emily als Teil ihrer Entdeckungsreise zu der Stelle führte. Emily hatte das Gefühl, als habe Holmstrand ihr im Rahmen ihrer Suche auch die Geschichte der Bibliothek nahebringen wollen, damit sie eine persönliche Verbindung zu ihr aufbaute.
Doch was auch immer sein Motiv gewesen sein mochte, eine Tatsache war von besonderem Interesse. Wenn Athanasius recht hatte und die Bibliothek erst im 16. Jahrhundert aus Konstantinopel verlegt worden war, dann war sie auch hier gewesen, als ein Jahrhundert zuvor die christlichen Herrscher den islamischen gewichen waren. Sie war unter dem Banner eines byzantinischen Kaisers in der Stadt angekommen und hatte sie unter der Flagge eines osmanischen Sultans wieder verlassen.
Das hieß, dass es sich bei dem ›Palast des Königs‹, von dem in Arnos letztem Hinweis die Rede war, nicht um die Residenz der byzantinischen Herrscher handeln konnte, die über Jahrhunderte hinweg in der riesigen Hagia Sophia gekrönt worden waren. Als Emily nun an den Ruinen des alten Kaiserpalastes vorbeifuhr, war sie fest davon überzeugt, dass das wieder nur ein Trick war, um einen ungebildeten Leser in die Irre zu führen. Diese Deutung war schlicht zu offensichtlich. Der alte Palast der byzantinischen Kaiser war eine der größten Touristenattraktionen der Stadt. Wenn man in Istanbul vom ›Palast des Königs‹ sprach, dann dachte man zuerst an ihn.
Doch wenn die Bibliothek bis weit in die osmanische Zeit hinein hier gewesen war, dann musste der ›Palast des Königs‹ sich auf etwas anderes beziehen. Emily war sicher, dass es sich dabei nur um den Sultanspalast handeln konnte, den Topkapi. Und genau dorthin fuhr der kleine Audi nun so schnell er konnte.
KAPITEL SIEBENUNDSIEBZIG
18:05 U HR
Als der Wagen um eine scharfe Kurve auf die Kabaskal Straße bog, waren zwei kurze Klingeltöne aus Emilys Tasche zu hören, kurz darauf gefolgt von zwei weiteren. Sie griff in ihre Jacke, holte das Blackberry heraus und schaltete das Display an. Sie hatte zwei SMS bekommen. Emily schaute sich die Nummern an. Die Länderkennung war ihr unbekannt.
Doch als sie die erste SMS aufrief, wusste sie sofort, woher sie kam. VON ATHANASIUS, stand dort zu lesen. DAMIT
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