Die verlorene Ehre der Katharina Blum
eindeutig ein Hinweis auf einen schlechten
Charakter, und, schon wütend und sehr gereizt, sagte Blorna: »Katharina ist eine
sehr kluge und kühle Person« und ärgerte sich, weil auch das nicht stimmte und
nicht andeutungsweise ausdrückte, was er hatte sagen wollen und hätte sagen
müssen. Er hatte noch nie mit Zeitungen und schon gar nicht mit der ZEITUNG
zu tun gehabt, und als der Kerl in seinem Porsche wieder abfuhr, schnallte Blorna
die Skier wieder ab und wußte, daß der Urlaub hinüber war. Er ging zu Trude
hinauf, die in Decken gehüllt wohlig, halb schlafend auf dem Balkon in der Sonne
lag. Er erzählte es ihr. »Ruf doch mal an«, sagte sie, und er versuchte anzurufen,
20
21
Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
dreimal, viermal, fünfmal, aber er bekam immer die Auskunft »Teilnehmer
meldet sich nicht«. Er versuchte gegen elf abends noch einmal anzurufen, aber
wieder meldete sich niemand. Er trank viel und schlief schlecht.
22.
Als er Freitag früh gegen halb zehn mürrisch zum Frühstück erschien, hielt Trude
ihm schon die ZEITUNG entgegen. Katharina auf der Titelseite. Riesenfoto,
Riesenlettern. RÄUBERLIEBCHEN KATHARINA BLUM VERWEIGERT
AUSSAGE ÜBER HERRENBESUCHE. Der seit eineinhalb Jahren gesuchte
Bandit und Mörder Ludwig Götten hätte gestern verhaftet werden können, hätte
nicht seine Geliebte, die Hausangestellte Katharina Blum, seine Spuren verwischt
und seine Flucht gedeckt. Die Polizei vermutet, daß die Blum schon seit längerer
Zeit in die Verschwörung verwickelt ist. (Weiteres siehe auf der Rückseite unter
dem Titel: HERRENBESUCHE ).
Dort auf der Rückseite las er dann, daß die ZEITUNG aus seiner Äußerung,
Katharina sei klug und kühl »eiskalt und berechnend« gemacht hatte und
aus seiner generellen Äußerung über Kriminalität, daß sie »durchaus eines
Verbrechens fähig sei«.
Der Pfarrer von Gemmelsbroich hatte ausgesagt: »Der traue ich alles zu. Der
Vater war ein verkappter Kommunist und ihre Mutter, die ich aus Barmherzigkeit
eine Zeitlang als Putzhilfe beschäftigte, hat Meßwein gestohlen und in der
Sakristei mit ihren Liebhabern Orgien gefeiert.«
»Die Blum erhielt seit zwei Jahren regelmäßig Herrenbesuch. War ihre Wohnung
ein Konspirationszentrum, ein Bandentreff, ein Waffenumschlagplatz. Wie kam
die erst siebenundzwanzigjährige Hausangestellte an eine Eigentumswohnung
im Werte von schätzungsweise Mark! War sie an der Beute aus den
Bankrauben beteiligt? Polizei ermittelt weiter. Staatsanwaltschaft arbeitet auf
Hochtouren. Morgen mehr. DIE ZEITUNG BLEIBT WIE IMMER AM BALL!
Sämtliche Hintergrundinformationen in der morgigen Wochenendausgabe.«
Am Nachmittag auf dem Flugplatz rekonstruierte Blorna, was dann kurz
hintereinander geschehen war.
. Anruf des sehr aufgeregten Lüding, der mich beschwor, sofort
zurückzukommen und mit dem ebenfalls sehr aufgeregten Alois in Verbindung
zu treten. Alois, angeblich total aufgelöst – was ich bei ihm noch nie erlebt
habe, mir deshalb unwahrscheinlich vorkommt –, zur Zeit auf einer Tagung für
christliche Unternehmer in Bad Bedelig, wo er das Hauptreferat halten und die
Grundsatzdiskussion leiten muß.
22
23
Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
. Anruf von Katharina, die mich fragte, ob ich das wirklich so gesagt hätte,
wie es in der ZEITUNG stand. Froh darüber, sie aufklären zu können, erklärte ich
ihr den Zusammenhang, und sie sagte (aus dem Gedächtnis protokolliert) etwa
folgendes: »Ich glaubs Ihnen, ich glaubs, ich weiß ja jetzt, wie diese Schweine
arbeiten. Heute morgen haben sie sogar meine schwerkranke Mutter, Brettloh
und andere Leute aufgestöbert.« Als ich sie fragte, wo sie sei, sagte sie »Bei Else,
und jetzt muß ich wieder zur Vernehmung«.
. Anruf von Alois, den ich wirklich zum erstenmal im Leben – und
ich kenne ihn seit Jahren – aufgeregt und in Angst sah. Sagte, ich müsse
sofort zurückkommen, um ihn als Mandanten in einer sehr heiklen Sache zu
übernehmen. Er müsse jetzt sein Referat halten, dann mit den Unternehmern
essen, später die Diskussion leiten und abends an einem zwanglosen
Beisammensein teilnehmen, könne aber so zwischen 1⁄2 und 1⁄2 bei uns zu
Hause sein, später dann noch zu dem zwanglosen Beisammensein stoßen.
., Trude findet auch, daß wir sofort abreisen und Katharina beistehen
müssen.
Weitere Kostenlose Bücher