Die verlorene Ehre der Katharina Blum
und um letztere
habe es sich immer gehandelt. Als die Herren fanden, das sei doch alles nicht
so wichtig und sie sei schuld, wenn die Vernehmung länger dauere als üblich sei,
sagte sie, sie würde kein Protokoll unterschreiben, in dem statt Zudringlichkeiten
Zärtlichkeiten stehe. Der Unterschied sei für sie von entscheidender Bedeutung,
und einer der Gründe, warum sie sich von ihrem Mann getrennt habe, hänge
damit zusammen; der sei eben nie zärtlich, sondern immer zudringlich
gewesen.
Ähnliche Kontroversen hatte es um das Wort »gütig«, auf das Ehepaar Blorna
angewandt, gegeben. Im Protokoll stand »nett zu mir«, die Blum bestand auf dem
Wort gütig, und als ihr statt dessen gar das Wort gutmütig vorgeschlagen wurde,
weil gütig so altmodisch klinge, war sie empört und behauptete, Nettigkeit und
Gutmütigkeit hätten mit Güte nichts zu tun, als letzteres habe sie die Haltung der
Blornas ihr gegenüber empfunden.
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19.
Inzwischen waren die Hausbewohner vernommen worden, von denen der
größere Teil wenig oder gar nichts über Katharina Blum aussagen konnte; man
habe sie gelegentlich im Aufzug getroffen, sich gegrüßt, wisse, daß ihr der rote
Volkswagen gehöre, man habe sie für eine Chefsekretärin gehalten, andere für
eine Abteilungsleiterin in einem Warenhaus; sie sei immer adrett, freundlich,
wenn auch kühl gewesen. Von den Bewohnern der fünf Appartements im achten
Stock, in dem Katharinas Wohnung lag, konnten nur zwei Näheres mitteilen.
Die eine war die Inhaberin eines Frisiersalons, Frau Schmill, der andere war
ein pensionierter Beamter vom Elektrizitätswerk namens Ruhwiedel, und das
Verblüffende war die beiden Aussagen gemeinsame Behauptung, Katharina
habe hin und wieder Herrenbesuch empfangen oder mitgebracht. Frau Schmill
behauptete, der Besuch sei regelmäßig gekommen, so alle zwei, drei Wochen, und
es sei ein etwa vierzigjähriger, sehr elastisch wirkender Herr aus »offensichtlich
besseren« Kreisen gewesen, während Herr Ruhwiedel den Besucher als ziemlich
jungen Schlacks bezeichnete, der einige Male allein, einige Male mit Fräulein
Blum gemeinsam deren Wohnung betreten habe. Und zwar innerhalb der
vergangenen zwei Jahre etwa acht- bis neunmal, »und das sind nur die Besuche,
die ich beobachtet habe – über die, die ich nicht beobachtet habe, kann ich
natürlich nichts sagen«.
Als Katharina am späten Nachmittag mit diesen Aussagen konfrontiert und
aufgefordert wurde, dazu Stellung zu nehmen, war es Hach, der ihr, noch bevor er
die Frage formulierte, entgegenzukommen versuchte und ihr nahelegte, ob diese
Herrenbesuche etwa die Herren gewesen wären, die sie gelegentlich nach Hause
gebracht hätten. Katharina, die über und über rot geworden war, aus Scham
und aus Ärger, fragte spitz zurück, ob es etwa verboten sei, Herrenbesuche zu
empfangen, und da sie die aus Freundlichkeit von ihm gebaute Brücke nicht
betreten wollte oder gar nicht als solche erkannte, wurde auch Hach etwas
spitzer und sagte, sie müsse sich klar darüber werden, daß man hier einen sehr
ernsten Fall untersuche, nämlich den Fall Ludwig Götten, der weitverzweigt
sei und Polizei und Staatsanwaltschaft schon über ein Jahr beschäftigte, und
er frage sie hiermit, ob es sich bei dem Herrenbesuch, den sie offenbar nicht
ableugne, immer um ein und denselben Herrn gehandelt habe. Und hier nun griff
Beizmenne brutal zu und sagte »Sie kennen den Götten also schon zwei Jahre.«
Über diese Feststellung war Katharina so verblüfft, daß sie keine Antwort fand,
Beizmenne nur kopfschüttelnd anblickte, und als sie dann ein erstaunlich mildes
»Aber nein, nein, ich habe ihn erst gestern kennengelernt« herausstotterte, wirkte
das nicht sehr überzeugend. Da sie nun aufgefordert wurde, den Herrenbesuch zu
identifizieren, schüttelte sie »fast entsetzt« den Kopf und verweigerte darüber die
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Aussage. Nun wurde Beizmenne wieder väterlich und redete ihr zu, sagte, es sei
doch gar nichts Schlimmes, wenn sie einen Freund habe, der – und hier machte
er einen entscheidenden psychologischen Fehler – nicht zudringlich, sondern
vielleicht zärtlich zu ihr gewesen sei; sie sei ja geschieden und nicht mehr zur
Treue verpflichtet, und es sei nicht einmal – der dritte entscheidende Fehler! –
verwerflich, wenn da möglicherweise bei
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