Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Wilhelm
Brettloh, von dem die Blum wegen böswilligen Verlassens schuldig geschieden
ist, gab der ZEITUNG noch bereitwilliger Auskunft. ›Jetzt‹, sagte er, die Tränen
mühsam zurückhaltend, ›weiß ich endlich, warum sie mir tritschen gegangen ist.
Warum sie mich sitzengelassen hat. DAS wars also, was da lief. Nun wird mir
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Heinrich Böll
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alles klar. Unser bescheidenes Glück genügte ihr nicht. Sie wollte hoch hinaus, und
wie soll schon ein redlicher, bescheidener Arbeiter je zu einem Porsche kommen.
Vielleicht (fügte er weise hinzu) können Sie den Lesern der ZEITUNG meinen Rat
übermitteln: So müssen falsche Vorstellungen von Sozialismus ja enden. Ich frage
Sie und Ihre Leser: Wie kommt ein Dienstmädchen an solche Reichtümer. Ehrlich
erworben kann sies ja nicht haben. Jetzt weiß ich, warum ich ihre Radikalität
und Kirchenfeindlichkeit immer gefürchtet habe, und ich segne den Entschluß
unseres Herrgotts, uns keine Kinder zu schenken. Und wenn ich dann noch erfahre,
daß ihr die Zärtlichkeiten eines Mörders und Räubers lieber waren als meine
unkomplizierte Zuneigung, dann ist auch dieses Kapitel geklärt. Und dennoch
möchte ich ihr zurufen: meine kleine Katharina, wärst du doch bei mir geblieben.
Auch wir hätten es im Laufe der Jahre zu Eigentum und einem Kleinwagen
gebracht, einen Porsche hätte ich dir wohl nie bieten können, nur ein bescheidenes
Glück, wie es ein redlicher Arbeitsmann zu bieten hat, der der Gewerkschaft
mißtraut. Ach, Katharina.‹«
Unter der Überschrift: »Rentnerehepaar ist entsetzt, aber nicht überrascht«,
fand Blorna noch auf der letzten Seite eine rot angestrichene Spalte:
Der pensionierte Studiendirektor Dr. Berthold Hiepertz und Frau Erna
Hiepertz zeigten sich entsetzt über die Aktivitäten der Blum, aber nicht
»sonderlich überrascht«. In Lemgo, wo eine Mitarbeiterin der ZEITUNG sie bei
ihrer verheirateten Tochter, die dort ein Sanatorium leitet, aufsuchte, äußerte
der Altphilologe und Historiker Hiepertz, bei dem die Blum seit Jahren arbeitet:
»Eine in jeder Beziehung radikale Person, die uns geschickt getäuscht hat.«
(Hiepertz, mit dem Blorna später telefonierte, schwor, folgendes gesagt zu
haben: »Wenn Katharina radikal ist, dann ist sie radikal hilfsbereit, planvoll und
intelligent – ich müßte mich schon sehr in ihr getäuscht haben, und ich habe
eine vierzigjährige Erfahrung als Pädagoge hinter mir und habe mich selten
getäuscht.«)
Fortsetzung von Seite ;
»Der völlig gebrochene ehemalige Ehemann der Blum, den die ZEITUNG
anläßlich einer Probe des Trommler- und Pfeiferkorps Gemmelsbroich
aufsuchte, wandte sich ab, um seine Tränen zu verbergen. Auch die übrigen
Vereinsmitglieder wandten sich, wie Altbauer Meffels es ausdrückte, mit Grausen
von Katharina ab, die immer so seltsam gewesen sei und immer so prüde getan
habe. Die harmlosen Karnevalsfreuden eines redlichen Arbeiters jedenfalls
dürften getrübt sein.«
Schließlich ein Foto von Blorna und Trude, im Garten am Swimming-pool.
Unterschrift: »Welche Rolle spielt die Frau, die einmal als die ›rote Trude‹
bekannt war, und ihr Mann, der sich gelegentlich als ›links‹ bezeichnet.
Hochbezahlter Industrieanwalt Dr. Blorna mit Frau Trude vor dem Swimming-
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pool der Luxusvilla.«
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Hier muß eine Art Rückstau vorgenommen werden, etwas, das man im Film und
in der Literatur Rückblende nennt: vom Samstagmorgen, an dem das Ehepaar
Blorna zerknittert und ziemlich verzweifelt aus dem Urlaub zurückkam, auf den
Freitagmorgen, an dem Katharina erneut zum Verhör aufs Präsidium geholt
wurde; diesmal durch Frau Pletzer und einen älteren Beamten, der nur leicht
bewaffnet war, und nicht aus ihrer eigenen Wohnung wurde sie geholt, sondern
aus der Wohnung der Frau Woltersheim, zu der Katharina morgens gegen fünf
Uhr, diesmal mit ihrem Auto, gefahren war. Die Beamtin machte kein Hehl
daraus, daß ihr bekannt war, sie würde Katharina nicht zu Hause, sondern bei der
Woltersheim finden. (Gerechterweise sollte man nicht vergessen, die Opfer und
Strapazen des Ehepaars Blorna noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: Abbruch
des Urlaubs, Taxifahrt zum Flugplatz in I. Warten im Nebel. Taxi zum Bahnhof.
Zug nach Frankfurt, dann aber Umsteigen in München. Im Schlafwagen elend
geschüttelt, und am frühen Morgen, soeben zu
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