Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Wie ich ihrem ironischen Lächeln entnehme, hat sie bereits eine
(wahrscheinlich, wie immer) zutreffende eorie über Alois’ Schwierigkeiten.
., Buchungen erledigt, gepackt, Rechnung bezahlt. Nach knapp
stündigem Urlaub im Taxi nach I. Dort auf dem Flugplatz . bis .
Uhr im Nebel gewartet. Langes Gespräch mit Trude über Katharina, an der ich,
wie Trude weiß, sehr, sehr hänge. Sprachen auch darüber, wie wir Katharina
ermuntert hatten, nicht so zimperlich zu sein, ihre unglückselige Kindheit und
die vermurkste Ehe zu vergessen. Wie wir versucht haben, ihren Stolz, wenn
es um Geld geht, zu überwinden und ihr von unserem eigenen Konto einen
billigeren Kredit als den der Bank zu geben. Selbst die Erklärung und die Einsicht,
daß sie uns, wenn sie uns statt der , die sie zahlen muß, gibt, nicht einmal
einen Verlust bereitet, sie aber viel Geld spart, hatte sie nicht überzeugt. Wie wir
Katharina zu Dank verpflichtet sind: seit sie ruhig und freundlich, auch planvoll
unseren Haushalt leitet, sind nicht nur unsere Unkosten erheblich gesunken, sie
hat uns auch beide für unsere berufliche Arbeit so frei gemacht, daß wir es kaum
in Geld ausdrücken können. Sie hat uns von dem fünährigen Chaos befreit, das
unsere Ehe und unsere berufliche Arbeit so belastet hat.
Entschließen uns gegen . Uhr, da der Nebel sich nicht zu lichten scheint,
doch mit dem Zug zu fahren. Auf Rat von Trude rufe ich Alois Sträubleder nicht
an. Taxi zum Bahnhof, wo wir den . nach Frankfurt noch erwischen. Elende
Fahrt – Übelkeit, Nervosität. Sogar Trude ernst und erregt. Sie wittert großes
Unheil. Total erschöpft dann doch in München umgestiegen, wo wir einen
Schlafwagen erwischten. Erwarten beide Kummer mit und um Katharina, Ärger
mit Lüding und Sträubleder.
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
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Schon am Samstagmorgen am Bahnhof der Stadt, die immer noch saisongemäß
fröhlich war, völlig zerknittert und elend, schon auf dem Bahnsteig des
Bahnhofs die ZEITUNG und wieder mit Katharina auf dem Titel, diesmal, wie
sie in Begleitung eines Kriminalbeamten in Zivil die Treppe des Präsidiums
herunterkam. MÖRDERBRAUT IMMER NOCH VERSTOCKT! KEIN HINWEIS
AUF GÖTTENS VERBLEIB! POLIZEI IN GROSSALARM .
Trude kaufte das Ding, und sie fuhren schweigend im Taxi nach Hause, und
als er den Fahrer bezahlte, während Trude die Haustür aufschloß, wies der Fahrer
auf die ZEITUNG und sagte: »Sie sind auch drin, ich hab Sie gleich erkannt. Sie
sind doch der Anwalt und Arbeitgeber von diesem Nüttchen.« Er gab viel zuviel
Trinkgeld, und der Fahrer, dessen Grinsen gar nicht so schadenfroh war wie seine
Stimme klang, brachte ihm Koffer, Taschen und Skier noch bis in die Diele und
sagte freundlich »Tschüs«.
Trude hatte schon die Kaffeemaschine eingestöpselt und wusch sich im Bad.
Die ZEITUNG lag im Salon auf dem Tisch und zwei Telegramme, eins von
Lüding, das andere von Sträubleder. Von Lüding: »Sind gelinde gesagt enttäuscht,
weil kein Kontakt. Lüding.« Von Sträubleder: »Kann nicht begreifen, daß Du
mich so im Stich läßt. Erwarte sofort Anruf. Alois.«
Es war gerade acht Uhr fünfzehn und fast genau die Zeit, zu der ihnen sonst
Katharina das Frühstück servierte: hübsch, wie sie immer den Tisch deckte, mit
Blumen und frisch gewaschenen Tüchern und Servietten, vielerlei Brot und
Honig, Eiern und Kaffee und für Trude Toast und Orangenmarmelade.
Sogar Trude war fast sentimental, als sie die Kaffeemaschine, ein bißchen
Knäckebrot, Honig und Butter brachte. »Es wird nie mehr so sein, nie mehr. Sie
machen das Mädchen fertig. Wenn nicht die Polizei, dann die ZEITUNG, und
wenn die ZEITUNG die Lust an ihr verliert, dann machens die Leute. Komm, lies
das jetzt erst mal und dann erst ruf die Herrenbesucher an.« Er las:
»Der ZEITUNG, stets bemüht, Sie umfassend zu informieren, ist es
gelungen, weitere Aussagen zu sammeln, die den Charakter der Blum und ihre
undurchsichtige Vergangenheit beleuchten. Es gelang ZEITUNGS-Reportern, die
schwerkranke Mutter der Blum ausfindig zu machen. Sie beklagte sich zunächst
darüber, daß ihre Tochter sie seit langer Zeit nicht mehr besucht hat. Dann, mit
den unumstößlichen Fakten konfrontiert, sagte sie: ›So mußte es ja kommen, so
mußte es ja enden.‹ Der ehemalige Ehemann, der biedere Textilarbeiter
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