Die verlorene Ehre der Katharina Blum
unzudringlichen Zärtlichkeiten gewisse
materielle Vorteile heraussprängen. Und damit war Katharina Blum endgültig
verbockt. Sie verweigerte weiterhin die Aussage und bestand darauf, in eine
Zelle oder nach Hause verbracht zu werden. Zur Verblüffung aller Anwesenden
erklärte Beizmenne, milde und müde – es war inzwischen . Uhr geworden-,
er lasse sie durch einen Beamten nach Hause bringen. Dann aber, als sie schon
aufgestanden war und ihre Handtasche, den Toilettenbeutel und die Plastiktüte
zusammenraffte, fragte er sie ganz plötzlich und hart: »Wie ist er bloß diese
Nacht aus dem Haus herausgekommen, Ihr zärtlicher Ludwig? Alle Eingänge,
alle Ausgänge waren bewacht – Sie, Sie müssen einen Weg gewußt und ihn ihm
gezeigt haben, und ich werde es herausbekommen. Auf Wiedersehen.«
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Moeding, Beizmennes Assistent, der Katharina nach Hause fuhr, berichtete
später, er sei über den Zustand der jungen Frau sehr beunruhigt und fürchte,
daß sie sich etwas antun könne; sie sei völlig zerschmettert, fix und fertig, und
habe überraschenderweise ausgerechnet in diesem Zustand Humor gezeigt oder
erst entwickelt. Als er mit ihr durch die Stadt gefahren sei, habe er sie scherzhaft
gefragt, ob es nicht doch nett wäre, wenn man jetzt unbefangen und ohne
Hintergedanken irgendwo einen trinken und zusammen tanzen gehen könne,
und sie habe genickt und gesagt, das wäre nicht übel, vielleicht sogar nett, und
später vor ihrem Haus, als er ihr angeboten habe, sie nach oben bis vor ihre Türe
zu bringen, habe sie sarkastisch gesagt »Ach, besser nicht, ich habe Herrenbesuch
genug, wie Sie wissen – aber trotzdem danke«.
Moeding versuchte den ganzen Abend und die halbe Nacht über, Beizmenne
davon zu überzeugen, daß man Katharina Blum inhaftieren müsse, zu ihrem
eigenen Schutz, und als Beizmenne ihn fragte, ob er etwa verliebt sei, sagte
er, nein, er habe sie nur gern, und sie sei gleichaltrig mit ihm, und er glaube
nicht an Beizmennes eorie von einer großen Verschwörung, in die Katharina
verwickelt sei.
Was er nicht berichtete und was doch durch Frau Woltersheim Blorna bekannt
wurde, waren die beiden Ratschläge, die er Katharina gab, die er immerhin durchs
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Foyer bis an den Aufzug begleitete, ziemlich heikle Ratschläge, die ihn hätten
teuer zu stehen kommen können, und außerdem für ihn und seine Kollegen
lebensgefährlich; er sagte nämlich zu Katharina, als sie vor dem Aufzug standen:
»Lassen Sie die Finger vom Telefon und schlagen Sie morgen keine Zeitung auf«,
wobei nicht klar war, ob er die ZEITUNG meinte oder Zeitungen schlechthin.
21.
Es war etwa gegen . Uhr des nämlichen Tages (Donnerstag, dem . . ),
als Blorna sich an seinem Urlaubsort zum erstenmal die Skier anschnallte
und zu einer längeren Wanderung aufbrechen wollte. Von diesem Augenblick
an war sein Urlaub, auf den er sich so lange gefreut hatte, vermasselt. Schön
gewesen war der lange Abendspaziergang am Abend vorher, kurz nach der
Ankunft, mit Trude zwei Stunden lang durch den Schnee, dann die Flasche
Wein am brennenden Kamin und der tiefe Schlaf bei offenem Fenster; das
erste Frühstück im Urlaub, lang hinausgezogen, und noch einmal für ein paar
Stunden dick eingewickelt auf der Terrasse im Korbstuhl, und dann eben, genau
in dem Augenblick, als er loswandern wollte, war dieser Kerl von der ZEITUNG
aufgetaucht und hatte ihn, ohne jede Vorbereitung, auf Katharina angequatscht.
Ob er sie eines Verbrechens für fähig halte? »Wieso«, sagte er, »ich bin Anwalt
und ich weiß, wer alles eines Verbrechens fähig ist. Welches Verbrechen denn?
Katharina? Undenkbar, wie kommen Sie darauf? Woher wissen Sie?« Als er
schließlich erfuhr, daß ein lange gesuchter Bandit nachweislich bei Katharina
übernachtet habe und sie seit ungefähr Uhr früh streng vernommen werde,
hatte er vorgehabt, sofort zurückzufliegen und ihr beizustehen, aber der Kerl
von der ZEITUNG – sah er wirklich so schmierig aus, oder fand er das erst
später? – sagte, so schlimm sei es nun wieder nicht, und ob er ihm nicht ein
paar Charaktereigenschaften nennen könne. Und als er sich weigerte, meinte
der Kerl, das sei aber ein schlechtes Zeichen und könne bös mißdeutet werden,
denn Schweigen über ihren Charakter sei in einem solchen Fall, und es handele
sich um eine »front-page-story«,
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