Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Urkunden, den gesamten
Scheidungsakten und den notariellen Urkunden, die ihre Eigentumswohnung
betrafen.
. Drei Schlüsselbünde, die inzwischen überprüft worden waren. Es handelte
sich um Haus- und Schrankschlüssel zu ihrer eigenen Wohnung, zu Blornas und
Hiepertz’ Wohnung.
Es wurde festgestellt und protokollarisch festgehalten, daß unter den oben
aufgeführten Gegenständen kein verdächtiger Anhaltspunkt gefunden worden
sei; die Erklärung von Katharina Blum über ihren Benzinverbrauch und ihre
Fahrtkilometer wurde kommentarlos akzeptiert.
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Erst in diesem Augenblick zog Beizmenne einen mit Brillanten besetzten
Rubinring aus der Tasche, den er offenbar lose dort aufbewahrt hatte, denn
er putzte ihn am Rockärmel blank, bevor er ihn Katharina hinhielt. »Ist Ihnen
dieser Ring bekannt?«
»Ja«, sagte sie ohne Zögern und Verlegenheit.
»Gehört er Ihnen?«
»Ja.«
»Wissen Sie, was er wert ist?«
»Nicht genau. Viel kann es nicht sein.«
»Nun«, sagte Beizmenne freundlich, »wir haben ihn schätzen lassen, und
vorsichtshalber nicht nur von unserem Fachmann hier im Haus, zusätzlich
noch, um Ihnen auf keinen Fall unrecht zu tun, von einem Juwelier hier in der
Stadt. Dieser Ring ist achttausend bis zehntausend Mark wert. Das wußten Sie
nicht? Ich glaube es Ihnen sogar, und doch müßten Sie mir erklären, woher Sie
ihn haben. Im Zusammenhang mit einer Ermittlung, in der es sich um einen
des Raubes überführten Verbrecher handelt, der dringend mordverdächtig ist,
ist ein solcher Ring keine Kleinigkeit, und auch nichts Privates, Intimes wie
Hunderte Kilometer, stundenlanges Autofahren im Regen. Von wem stammt
nun der Ring, von Götten oder dem Herrenbesuch, oder war Götten nicht doch
der Herrenbesuch, und wenn nicht – wo sind Sie denn, als Damenbesuch, wenn
ich es scherzhaft so nennen darf – hingefahren im Regen, Tausende Kilometer?
Es wäre eine Kleinigkeit für uns, festzustellen, von welchem Juwelier der Ring
stammt, ob gekauft oder gestohlen, aber ich möchte Ihnen eine Chance geben
– ich halte Sie nämlich nicht für unmittelbar kriminell, sondern nur für naiv und
ein bißchen zu romantisch. Wie wollen Sie mir – uns – erklären, daß Sie, die
Sie als zimperlich, fast prüde bekannt sind, die Sie von Ihren Bekannten und
Freunden den Spitznamen ›Nonne‹ erhalten haben, die Diskotheken meidet, weil
es dort zu wüst zugeht – sich von ihrem Mann scheiden läßt, weil er ›zudringlich‹
geworden ist – wie wollen Sie uns dann erklären, daß Sie – angeblich – diesen
Götten erst vorgestern kennengelernt haben und noch am gleichen Tage – man
könnte sagen stehenden Fußes – ihn mit in Ihre Wohnung genommen haben
und dort sehr rasch – na sagen wir – intim mit ihm geworden sind. Wie nennen
Sie das? Liebe auf den ersten Blick? Verliebtheit? Zärtlichkeit? Wollen Sie nicht
einsehen, daß es da einige Ungereimtheiten gibt, die den Verdacht nicht so ganz
auslöschen? Und da ist noch etwas.« Jetzt griff er in seine Rocktasche und zog
einen größeren weißen Briefumschlag aus der Tasche, dem er einen ziemlich
extravaganten, veilchenfarbenen Briefumschlag normalen Formats entnahm, der
cremefarben gefüttert war. »Dieser leere Briefumschlag, den wir zusammen mit
dem Ring in Ihrer Nachttischschublade gefunden haben, ist am .. um .
Uhr bei der Bahnpost in Düsseldorf gestempelt worden – und an Sie adressiert.
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Mein Gott«, sagte Beizmenne abschließend, »wenn Sie einen Freund gehabt
haben, der Sie hin und wieder besuchte und zu dem Sie manchmal gefahren sind,
der Ihnen Briefe schrieb und manchmal etwas schenkte – sagen Sie es uns doch,
es ist ja kein Verbrechen. Es belastet Sie ja nur, wenn ein Zusammenhang mit
Götten besteht.«
Es war allen Anwesenden klar, daß Katharina den Ring erkannte, dessen
Wert aber nicht gewußt hatte; daß hier wieder das heikle ema Herrenbesuch
aufkam. Schämte sie sich etwa nur, weil sie ihren Ruf gefährdet sah, oder sah
sie jemand anderen gefährdet, den sie nicht in die Sache hineinziehen wollte?
Sie errötete diesmal nur leicht. Gab sie deshalb nicht an, den Ring von Götten
bekommen zu haben, weil sie wußte, daß es ziemlich unglaubwürdig gewesen
wäre, aus Götten einen Kavalier dieses Schlags zu machen? Sie blieb ruhig,
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