Die verlorene Ehre der Katharina Blum
aber sie lehnte es ab, nach Hause zu gehen, die
Wohnung sagte sie, sei ihr endgültig verleidet, sie zöge es vor, in einer Zelle zu
warten, bis Frau Woltersheim vernommen worden sei, und mit dieser dann nach
Hause zu gehen. In diesem Augenblick erst zog Katharina die beiden Ausgaben
der ZEITUNG aus der Tasche und fragte, ob der Staat – so drückte sie es aus
– nichts tun könne, um sie gegen diesen Schmutz zu schützen und ihre verlorene
Ehre wiederherzustellen. Sie wisse inzwischen sehr wohl, daß ihre Vernehmung
durchaus gerechtfertigt sei, wenn ihr auch dieses »bis-ins-letzte-Lebensdetail-
gehen« nicht einleuchte, aber es sei ihr unbegreiflich, wie Einzelheiten aus der
Vernehmung – etwa der Herrenbesuch – hätten zur Kenntnis der ZEITUNG
gelangen können, und alle diese erlogenen und erschwindelten Aussagen. Hier
griff Staatsanwalt Hach ein und sagte, es habe natürlich angesichts des riesigen
öffentlichen Interesses am Fall Götten eine Presseverlautbarung herausgegeben
werden müssen; eine Pressekonferenz habe noch nicht stattgefunden, sei
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aber wohl wegen der Erregung und Angst, die durch Göttens Flucht – die sie,
Katharina, ja ermöglicht habe – entstanden sei, nun kaum noch zu vermeiden.
Im übrigen sei sie jetzt durch ihre Bekanntschaft mit Götten eine »Person der
Zeitgeschichte« und damit Gegenstand berechtigten öffentlichen Interesses.
Beleidigende und möglicherweise verleumderische Details der Berichterstattung
könne sie zum Gegenstand einer Privatklage machen, und – falls sich herausstelle,
daß es »undichte Stellen« innerhalb der untersuchenden Behörde gebe, so werde
diese, darauf könne sie sich verlassen, Anzeige gegen Unbekannt erheben
und ihr zu ihrem Recht verhelfen. Dann wurde Katharina Blum in eine Zelle
verbracht. Man verzichtete auf scharfe Bewachung, gab ihr lediglich eine jüngere
Polizeiassistentin, Renate Zündach, bei, die, unbewaffnet, bei ihr blieb und später
berichtete, Katharina Blum habe die ganze Zeit über – etwa zweieinhalb Stunden
lang – nichts weiter getan, als immer und immer wieder die beiden Ausgaben
der ZEITUNG zu lesen. Tee, Brote, alles habe sie abgelehnt, nicht in aggressiver,
sondern in »fast freundlicher, apathischer Weise«. Jede Unterhaltung über Mode,
Filme, Tänze, die sie, Renate Zündach, anzufangen versucht habe, um Katharina
abzulenken, habe diese abgelehnt.
Sie habe dann, um der Blum, die sich regelrecht in die Lektüre der ZEITUNG
verbissen habe, zu helfen, die Bewachung vorübergehend dem Kollegen Hüften
übergeben und aus dem Archiv die Berichte anderer Zeitungen geholt, in denen
über die Verstrickung und Vernehmung der Blum, ihre mögliche Rolle, in
durchaus sachlicher Form berichtet worden sei. Auf der dritten, vierten Seite
kurze Berichte, in denen nicht einmal der Name der Blum voll ausgedruckt
gewesen sei, von ihr lediglich als von einer gewissen Katharina B., Hausgehilfin,
gesprochen worden sei. Zum Beispiel habein der »Umschau« nur eine Zehnzeilen-
Meldung gestanden, natürlich ohne Foto, in der man von unglückseligen
Verstrickungen einer völlig unbescholtenen Person gesprochen habe. Das alles
– sie habe der Blum fünfzehn Zeitungsausschnitte hingelegt – habe diese nicht
getröstet, sie habe nur gefragt: »Wer liest das schon? Alle Leute, die ich kenne,
lesen die ZEITUNG!«
28.
Um zu klären, wie Götten zum Hausball der Frau Woltersheim hatte kommen
können, wurde zuerst Frau Woltersheim selbst vernommen, und es wurde
vom ersten Augenblick an klar, daß Frau Woltersheim dem gesamten sie
vernehmenden Gremium gegenüber, wenn nicht ausgesprochen feindselig, so
doch feindseliger als die Blum gegenüberstand. Sie gab an, geboren zu sein,
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also Jahre alt, unverheiratet, von Beruf Wirtschafterin, undiplomiert. Bevor
sie zur Sache aussagte, äußerte sie sich mit »unbewegter, fast pulvertrockener
Stimme, was ihrer Empörung mehr Kraft verlieh, als wenn sie losgeschimpft oder
geschrien hätte«, über die Behandlung von Katharina Blum durch die ZEITUNG
sowie über die Tatsache, daß man offensichtlich Details aus der Vernehmung
an diese Art Presse weitergebe. Es sei ihr klar, daß Katharinas Rolle untersucht
werden müsse, sie frage sich aber, ob es zu verantworten sei, »ein junges Leben
zu zerstören«, wie es nun
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