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Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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fast
    »zahm«, als sie zu Protokoll gab: »Es trifft zu, daß ich beim Hausball der Frau
    Woltersheim ausschließlich und innig mit Ludwig Götten getanzt habe, den ich
    zum erstenmal in meinem Leben sah und dessen Nachnamen ich erst bei der
    polizeilichen Vernehmung am Donnerstagmorgen erfuhr. Ich empfand große
    Zärtlichkeit für ihn und er für mich. Gegen zehn Uhr habe ich die Wohnung
    von Frau Woltersheim verlassen und bin mit Ludwig Götten in meine Wohnung
    gefahren.
    Über die Herkunft des Schmuckstückes kann ich, ich korrigiere mich: will ich
    keine Auskunft geben. Da es nicht auf unrechtmäßige Weise in meinen Besitz
    gelangt ist, fühle ich mich nicht verpflichtet, seine Herkunft zu erklären. Der
    Absender des mir vorgehaltenen Briefumschlages ist mir unbekannt. Es muß
    sich um eine der üblichen Werbesendungen handeln. Ich bin in gastronomischen
    Fachkreisen inzwischen einigermaßen bekannt. Für die Tatsache, daß eine
    Reklamesendung ohne Absender in einem einigermaßen kostspieligen und
    aufwendig wattierten Briefumschlag versendet wird, habe ich keine Erklärung.
    Ich möchte nur drauf hinweisen, daß gewisse gastronomische Firmen sich gern
    den Anschein von Vornehmheit geben.«
    Als sie dann gefragt wurde, warum sie ausgerechnet an diesem Tag, wo sie
    doch offensichtlich und zugegebenermaßen so gern Auto fahre, an diesem Tag
    mit der Straßenbahn zu Frau Woltersheim gefahren sei, sagte Katharina Blum,
    sie habe nicht gewußt, ob sie viel oder wenig Alkohol trinken würde, und es sei
    ihr sicherer erschienen, nicht mit ihrem Wagen zu fahren. Gefragt, ob sie viel
    trinke oder gar gelegentlich betrunken sei, sagte sie, nein, sie trinke wenig, und
    betrunken sei sie nie gewesen, nur einmal sei sie – und zwar in Gegenwart und
    auf Veranlassung ihres Mannes bei einem geselligen Abend des Trommlerkorps
    – betrunken gemacht worden, und zwar mit einem Aniszeug, das wie Limonade
    schmeckte. Man habe ihr später gesagt, dieses ziemlich teuere Zeug sei ein
    beliebtes Mittel, Leute betrunken zu machen. Als ihr vorgehalten wurde, diese
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    Heinrich Böll
    Die verlorene Ehre der Katharina Blum
    Erklärung — sie habe gefürchtet, eventuell zuviel zu trinken – sei nicht stichhaltig,
    da sie nie viel trinke, und ob ihr nicht einleuchte, daß es so aussehen müsse, als
    sei sie mit Götten regelrecht verabredet gewesen, habe also gewußt, daß sie ihr
    Auto nicht brauchen, sondern in seinem Auto heimfahren werde, schüttelte sie
    den Kopf und sagte, es sei genauso, wie sie angegeben habe. Es sei ihr durchaus
    danach zumute gewesen, sich einmal einen anzutrinken, aber sie habe es dann
    doch nicht getan.
    Ein weiterer Punkt mußte vor der Mittagspause noch geklärt werden: Warum
    sie weder ein Spar- noch ein Scheckbuch habe. Ob es nicht doch noch irgendwo
    ein Konto gebe. Nein, sie habe kein weiteres Konto als das bei der Sparkasse.
    Jede, auch die kleinste ihr zur Verfügung stehende Summe benutze sie sofort, um
    ihren hochverzinslichen Kredit abzuzahlen; die Kreditzinsen wären manchmal
    fast doppelt so hoch wie die Sparzinsen, und auf einem Girokonto gäbe es fast
    gar keine Zinsen. Außerdem sei ihr der Scheckverkehr zu teuer und umständlich.
    Laufende Kosten, ihren Haushalt und das Auto, bezahle sie bar.
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    Gewisse Stauungen, die man auch Spannungen nennen kann, sind ja
    unvermeidlich, weil nicht alle Quellen mit einem Griff und auf einmal um-
    und abgelenkt werden können, so daß das trockengelegte Gelände sofort
    sichtbar wird. Unnötige Spannungen aber sollen vermieden werden, und es
    soll hier erklärt werden, warum an diesem Freitagmorgen sowohl Beizmenne
    wie Katharina so milde, fast weich oder gar zahm waren, Katharina sogar
    ängstlich oder eingeschüchtert. Zwar hatte die ZEITUNG, die eine freundliche
    Nachbarin unter Frau Woltersheims Haustür geschoben hatte, bei beiden Frauen
    Wut, Ärger, Empörung, Scham und Angst bewirkt, doch hatte das sofortige
    Telefongespräch mit Blorna Milderung geschaffen, und da kurz nachdem die
    beiden entsetzten Frauen die ZEITUNG überflogen und Katharina mit Blorna
    telefoniert hatte, schon Frau Pletzer erschienen war, die offen zugab, daß man
    Katharinas Wohnung natürlich überwache und aus diesem Grund wisse, daß sie
    hier zu finden sei, und nun müsse man leider – und leider auch Frau Woltersheim
    – zur Vernehmung, da war der offenen und netten Art von Frau Pletzer wegen
    der Schrecken über die ZEITUNG zunächst verdrängt und für

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