Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Katharina ein
nächtliches Erlebnis wieder in den Vordergrund gerückt, das sie als beglückend
empfunden hatte: Ludwig hatte sie angerufen, und zwar von dort ! Er war so
lieb gewesen, und deshalb hatte sie ihm gar nichts von dem Ärger erzählt, weil
er nicht das Gefühl haben sollte, er sei die Ursache irgendeines Kummers. Sie
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hatten auch nicht über Liebe gesprochen, das hatte sie ihm ausdrücklich – schon
als sie mit ihm im Auto nach Hause fuhr – verboten. Nein, nein, es ging ihr gut,
natürlich wäre sie lieber bei ihm und für immer oder wenigstens für lange mit
ihm zusammen, am liebsten natürlich ewig, und sie werde sich Karneval über
erholen und nie, nie wieder mit einem anderen Mann als ihm tanzen und nie
mehr anders als südamerikanisch, und nur mit ihm, und wie es denn dort sei.
Er sei sehr gut untergebracht und sehr gut versorgt, und da sie ihm verboten
habe, von Liebe zu sprechen, möchte er doch sagen, daß er sie sehr sehr sehr
gern habe, und eines Tages – wann, das wisse er noch nicht, es könne Monate,
aber auch ein Jahr oder zwei dauern – werde er sie holen, wohin, das wisse er
noch nicht. Und so weiter, wie Leute, die große Zärtlichkeit füreinander haben,
eben miteinander am Telefon plaudern. Keine Erwähnung von Intimitäten und
schon gar kein Wort über jenen Vorgang, den Beizmenne (oder, was immer
wahrscheinlicher scheint: Hach) so grob definiert hatte. Und so weiter. Was
eben diese Art von Zärtlichkeitsempfinder sich zu sagen haben. Ziemlich lange.
Zehn Minuten. Vielleicht sogar mehr, sagte Katharina zu Else. Vielleicht kann
man, was das konkrete Vokabularium der beiden Zärtlichen anbetrifft, auch auf
gewisse moderne Filme verweisen, wo am Telefon – oft über weite Entfernung
hin – ziemlich viel und viel scheinbar belanglos geplaudert wird.
Dieses Telefongespräch, das Katharina mit Ludwig führte, war auch der Anlaß
für Beizmennes Entspanntheit, Freundlichkeit und Milde, und obwohl er ahnte,
warum Katharina alle spröde Bockigkeit abgelegt hatte – konnte sie natürlich nicht
ahnen, daß er aus dem gleichen Anlaß, wenn auch nicht aus dem gleichen Grund,
so fröhlich war. (Man sollte diesen merk- und denkwürdigen Vorgang zum Anlaß
nehmen, öfter zu telefonieren, notfalls auch ohne zärtliches Geflüster, denn man
weiß ja nie, wem man wirklich mit so einem Telefongespräch eine Freude macht.)
Beizmenne kannte aber auch die Ursache für Katharinas Ängstlichkeit, denn er
hatte auch Kenntnis von einem weiteren anonymen Anruf.
Es wird gebeten, die vertraulichen Mitteilungen, die dieses Kapitel enthält, nicht
nach Quellen abzuforschen, es handelt sich lediglich um den Durchstich eines
Nebenpfützenstaus, dessen dilettantisch errichtete Staumauer durchstochen,
zum Abfluß bzw. zu Fluß gebracht wird, bevor die schwache Staumauer bricht
und alle Spannung verschwendet ist.
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26.
Damit keine Mißverständnisse entstehen, muß auch festgestellt werden, daß
sowohl Else Woltersheim wie Blorna natürlich wußten, daß Katharina sich
regelrecht strafbar gemacht hatte, indem sie Götten half, unbemerkt aus ihrer
Wohnung zu verschwinden; sie mußte ja auch, als sie seine Flucht ermöglicht
hatte, Mitwisserin gewisser Straftaten sein, wenn auch in diesem Fall nicht der
wahren! Else Woltersheim sagte es ihr auf den Kopf zu, kurz bevor Frau Pletzer
beide zum Verhör abholte. Blorna nahm die nächste Gelegenheit wahr, Katharina
auf die Strafbarkeit ihres Tuns aufmerksam zu machen. Es soll auch niemandem
vorenthalten werden, was Katharina zu Frau Woltersheim über Götten sagte:
»Mein Gott, er war es eben, der da kommen soll, und ich hätte ihn geheiratet
und Kinder mit ihm gehabt – und wenn ich hätte warten müssen, jahrelang, bis
er aus dem Kittchen wieder raus war.«
27.
Die Vernehmung von Katharina Blum konnte damit als abgeschlossen gelten, sie
mußte sich nur bereit halten, um möglicherweise mit den Aussagen der übrigen
Teilnehmer an der Woltersheimschen Tanzparty konfrontiert zu werden. Es sollte
nämlich nur eine Frage geklärt werden, die im Zusammenhang mit Beizmennes
Verabredungs- und Verschwörungstheorie wichtig genug war: Wie war Ludwig
Götten zum Hausball bei Frau Woltersheim gekommen?
Es wurde Katharina Blum anheimgestellt, nach Hause zu gehen oder an einem
ihr genehmen Ort zu warten,
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