Die verlorene Ehre der Katharina Blum
verschaffen,
schwinde mit dem Interesse an ihrer Wohnung auch Katharinas Interesse an
ihrem Beruf. An diesem Punkt der Aussage wurde auch Frau Woltersheim
darüber belehrt, daß es nicht Sache der Polizei oder der Staatsanwaltschaft
sei, »gewisse gewiß verwerfliche Formen des Journalismus strafrechtlich zu
verfolgen«. Die Pressefreiheit dürfe nicht leichtfertig angetastet werden, und sie
dürfe davon überzeugt sein, daß eine Privatklage gerecht behandelt und gegen
illegitime Informationsquellen eine Anzeige gegen Unbekannt erhoben werde.
Es war der junge Staatsanwalt Dr. Korten, der hier ein fast leidenschaftlich zu
nennendes Plädoyer für die Pressefreiheit und für das Informationsgeheimnis
hielt und ausdrücklich betonte, daß, wer sich nicht in schlechte Gesellschaft
begebe oder in solche gerate, ja auch der Presse keinerlei Anlaß zu vergröberten
Darstellungen gebe.
Das Ganze – etwa das Auftauchen Göttens und des ominösen, als Scheich
verkleideten Karl – lasse doch Schlüsse auf eine merkwürdige Sorglosigkeit im
gesellschaftlichen Umgang zu. Das sei ihm noch nicht hinreichend geklärt, und
er rechne damit, bei der Vernehmung der beiden betroffenen oder betreffenden
jungen Damen plausible Erklärungen zu bekommen. Ihr, Frau Woltersheim, sei
der Vorwurf nicht zu ersparen, daß sie in der Auswahl ihrer Gäste nicht gerade
wählerisch sei. Frau Woltersheim verbat sich diese Belehrung durch einen
wesentlich jüngeren Herrn und verwies darauf, daß sie die beiden jungen Damen
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eingeladen habe, mit ihren Freunden zu kommen, und daß es ihr allerdings
fernliege, Freunde, die ihre Gäste mitbrächten, nach dem Personalausweis
und dem polizeilichen Führungszeugnis zu fragen. Sie mußte einen Verweis
entgegennehmen und darauf aufmerksam gemacht werden, daß hier das Alter
keine, die Position des Staatsanwalts Dr. Korten aber eine erhebliche Rolle spiele.
Immerhin untersuche man hier einen ernsten, einen schweren, wenn nicht den
schwersten Fall von Gewaltkriminalität, in den Götten nachweislich verwickelt
sei. Sie müsse es schon dem Vertreter des Staates überlassen, welche Details
und welche Belehrungen er für richtig halte. Nochmals gefragt, ob Götten und
der Herrenbesuch ein und dieselbe Person sein könnten, sagte die Woltersheim,
nein, das könne mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Als sie dann aber gefragt
wurde, ob sie den »Herrenbesuch« persönlich kenne, je gesehen habe, ihm
je begegnet sei, mußte sie das verleugnen, und da sie auch ein so wichtiges
intimes Detail, wie die merkwürdigen Autofahrten nicht gewußt hatte, wurde
ihre Vernehmung als unbefriedigend bezeichnet, und sie wurde »mit einem
Mißton« vorläufig entlassen. Bevor sie den Raum, offenbar verärgert, verließ,
gab sie noch zu Protokoll, daß der als Scheich verkleidete Karl ihr mindestens so
verdächtig erschienen sei wie Götten. Jedenfalls habe er auf der Toilette ständig
Selbstgespräche geführt und sei dann ohne Abschied verschwunden.
29.
Da nachweislich die siebzehnjährige Verkäuferin Hertha Scheumel den Götten
mit zur Party gebracht hatte, wurde sie als nächste vernommen. Sie war
offensichtlich verängstigt, sagte, sie habe noch nie mit der Polizei zu tun gehabt,
gab aber dann eine relativ plausible Erklärung über ihre Bekanntschaft mit Götten
ab. »Ich wohne«, sagte sie aus, »mit meiner Freundin Claudia Sterm, die in einer
Schokoladenfabrik arbeitet, zusammen in einem Ein-Zimmer-Küche-Dusche-
Appartement. Wir stammen beide aus Kuir-Oftersbroich, sind beide sowohl
mit Frau Woltersheim wie mit Katharina Blum weitläufig verwandt (obwohl
die Scheumel die Weitläufigkeit der Verwandtschaft genauer darstellen wollte,
indem sie auf Großeltern verwies, die Vettern bzw. Kusinen von Großeltern
gewesen waren, wurde auf eine detaillierte Bezeichnung ihrer Verwandtschaft
verzichtet und der Ausdruck ›weitläufig‹ als ausreichend angesehen). Wir nennen
Frau Woltersheim Tante und betrachten Katharina als Kusine. An diesem Abend,
am Mittwoch, dem . Februar , waren wir beide, Claudia und ich, in
großer Verlegenheit. Wir hatten Tante Else versprochen, unsere Freunde zu
dem kleinen Fest mitzubringen, weil es sonst an Tanzpartnern fehlen würde.
Nun war aber mein Freund, der zur Zeit bei der Bundeswehr dient, genauer
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