Die verlorene Ehre der Katharina Blum
miteinander sowohl ernste wie leichte
Musik gehört und Katharina wie Else Woltersheim ein wenig vom Leben
in Gemmelsbroich und Kuir erzählt hatten. Es war erst halb elf abends, als
Katharina, Frau Woltersheim und Beiters sich unter Versicherungen großer
Freundschaft und Sympathie von den Blornas trennten, die sich glücklich
priesen, doch noch rechtzeitig – rechtzeitig für Katharina – zurückgekommen
zu sein. Am erlöschenden Kaminfeuer erörterten sie bei einer Flasche Wein
neue Urlaubspläne und den Charakter ihres Freundes Sträubleder und seiner
Frau Maud. Als Blorna seine Frau bat, doch bei künftigen Besuchen das Wort
»Herrenbesuch« nicht mehr zu gebrauchen, sie müsse doch einsehen, daß es zu
einem neuralgischen Wort geworden sei, sagte Trude Blorna: »Den werden wir
so bald nicht wiedersehen.«
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Es ist verbürgt, daß Katharina den Rest des Abends ruhig verbrachte. Sie
probierte ihr Beduinenkostüm noch einmal an, verstärkte einige Nähte und
entschloß sich, anstelle eines Schleiers ein weißes Taschentuch zu verwenden.
Man hörte noch ein wenig Radio miteinander, aß ein wenig Gebäck und begab
sich dann zur Ruhe. Beiters, indem er zum erstenmal offen mit Frau Woltersheim
in deren Schlafzimmer ging, Katharina, indem sie es sich auf der Couch bequem
machte.
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Als Else Woltersheim und Konrad Beiters am Sonntagmorgen aufstanden, war der
Frühstückstisch aufs freundlichste gedeckt, der Kaffee schon in die ermoskanne
gefiltert und Katharina, die mit offensichtlichem Appetit schon frühstückte, saß
am Wohnzimmertisch und las die SONNTAGSZEITUNG. Es soll hier kaum
noch referiert, fast nur noch zitiert werden. Zugegeben, Katharinas »story« war
nicht mehr mit Foto auf der Titelseite. Auf der Titelseite war diesmal Ludwig
Götten mit der Überschrift: »Der zärtliche Liebhaber von Katharina Blum in
Industriellen-Villa gestellt.« Die story selbst war umfangreicher als bisher auf den
Seiten – mit zahlreichen Bildern: Katharina als Erstkommunikantin, ihr Vater
als heimkehrender Gefreiter, die Kirche in Gemmelsbroich, noch einmal die Villa
von Blornas. Katharinas Mutter als etwa Vierzigjährige, ziemlich vergrämt, fast
verkommen wirkend vor dem winzigen Häuschen in Gemmelsbroich, in dem
sie gewohnt hatten, schließlich ein Foto des Krankenhauses, in dem Katharinas
Mutter in der Nacht von Freitag auf Samstag gestorben war. Der Text:
Als erstes nachweisbares Opfer der undurchsichtigen, immer noch auf freiem
Fuß befindlichen Katharina Blum kann man jetzt ihre eigene Mutter bezeichnen,
die den Schock über die Aktivitäten ihrer Tochter nicht überlebte. Ist es schon
merkwürdig genug, daß die Tochter, während ihre Mutter im Sterben lag, mit
inniger Zärtlichkeit mit einem Räuber und Mörder auf einem Ball tanzte, so
grenzt es doch schon ans extrem Perverse, daß sie bei dem Tod keine Träne
vergoß. Ist diese Frau wirklich nur »eiskalt und berechnend«? Die Frau eines
ihrer früheren Arbeitgeber, eines angesehenen Landarztes, beschreibt sie so: »Sie
hatte so eine richtig nuttige Art. Ich mußte sie entlassen, meiner heranwachsenden
Söhne, unserer Patienten und auch um des Ansehens meines Mannes willen.«
War Katharina B. etwa auch an den Unterschlagungen des berüchtigten Dr.
Fehnern beteiligt? (Die ZEITUNG berichtete seinerzeit über diesen Fall.) War
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ihr Vater ein Simulant? Warum wurde ihr Bruder kriminell? Immer noch
ungeklärt: ihr rascher Aufstieg und ihre hohen Einkünfte. Nun steht endgültig
fest: Katharina Blum hat dem blutbefleckten Götten zur Flucht verholfen, sie
hat das freundschaftliche Vertrauen und die spontane Hilfsbereitschaft eines
hochangesehenen Wissenschaftlers und Industriellen schamlos mißbraucht. Es
liegen inzwischen der ZEITUNG Informationen vor, die fast schlüssig beweisen:
nicht sie erhielt Herrenbesuch, sondern sie stattete unaufgefordert Damenbesuch
ab, um die Villa auszubaldowern. Die geheimnisvollen Autofahnen der Blum sind
nun nicht mehr so geheimnisvoll. Sie setzte den Ruf eines ehrenwerten Menschen,
dessen Familienglück, seine politische Karriere – über die die ZEITUNG schon
mehrfach berichtet hat – skrupellos aufs Spiel, gleichgültig gegenüber den Gefühlen
einer loyalen Ehefrau und den vier Kindern. Offenbar sollte die Blum im Auftrag
einer Linksgruppe
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