Die verlorene Ehre der Katharina Blum
tatsächlich bis zu
Frau Blum durchgedrungen war oder ob er, um die in der ZEITUNG zitierten
Sätze von Katharinas Mutter als Ergebnis eines Interviews ausgeben zu können,
seinen Besuch erlogen bzw. erfunden hat, um seine journalistische Cleverness
oder Tüchtigkeit zu beweisen und nebenher ein bißchen anzugeben. Dr. Keinen,
Schwester Edelgard, eine spanische Krankenschwester namens Huelva, eine
portugiesische Putzfrau namens Puelco – alle halten es für ausgeschlossen, daß
»dieser Kerl tatsächlich die Frechheit besessen haben könnte, das zu tun« (Dr.
Heinen). Nun ist zweifellos nicht nur der, wenn auch möglicherweise erfundene,
aber zugegebene Besuch bei Katharinas Mutter ganz gewiß ausschlaggebend
gewesen, und es fragt sich natürlich, ob das Krankenhauspersonal einfach
leugnet, was nicht sein durfte, oder Tötges, um die Zitate von Katharinas Mutter
als wörtlich zu decken, den Besuch bei ihr erfand. Hier soll absolute Gerechtigkeit
walten. Es gilt als erwiesen, daß Katharina sich ihr Kostüm schneiderte, um
in eben jene Kneipe, aus der der unglückselige Schönner »mit einer Bumme
abgehauen« war, Recherchen anzustellen, nachdem sie das Interview mit
Tötges bereits verabredet hatte und nachdem die SONNTAGSZEITUNG
einen weiteren Bericht von Tötges publiziert hatte. Man muß also abwarten.
Sicher ist, nachgewiesen, belegt geradezu, daß Dr. Keinen überrascht war vom
plötzlichen Tod seiner Patientin Maria Blum, und daß er »unvorhergesehene
Einwirkungen, wenn nicht nachweisen, so doch auch nicht ausschließen kann«.
Unschuldige Anstreicher sollen hier keinesfalls verantwortlich gemacht werden.
Die Ehre des deutschen Handwerks darf nicht befleckt werden: weder Schwester
Edelgard noch die ausländischen Damen Huelva und Puelco können dafür
garantieren, daß alle Anstreicher — es waren vier von der Firma Merkens aus
Kuir – wirklich Anstreicher waren, und da die vier an verschiedenen Stellen
arbeiteten, kann niemand wirklich wissen, ob da nicht einer mit Kittel, Farbtopf
und Pinsel ausgestattet sich eingeschlichen hat. Fest steht: Tötges hat behauptet
(von zugegeben kann nicht gesprochen werden, da sein Besuch nicht wirklich
nachweisbar ist), bei Maria Blum gewesen zu sein und sie interviewt zu haben,
und diese Behauptung ist Katharina bekanntgeworden. Herr Merkens hat
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
auch zugegeben, daß natürlich nicht immer alle vier Anstreicher gleichzeitig
anwesend waren, und daß, wenn jemand sich hätte einschleichen wollen, das
eine Kleinigkeit gewesen wäre. Dr. Keinen hat später gesagt, er würde die
ZEITUNG auf das veröffentlichte Zitat von Katharinas Mutter hin anzeigen,
einen Skandal hervorrufen, denn das sei, wenn wahr, ungeheuerlich – aber seine
Drohung blieb so wenig ausgeführt wie das »In-die-Fresse-hauen«, das Blorna
Sträubleder angedroht hatte.
44.
Gegen Mittag jenes Samstags, des . Februar , trafen im Café Kloog in
Kuir (es handelt sich um einen Neffen jenes Gastwirts, bei dem Katharina als
junge Frau gelegentlich in der Küche und als Serviererin aushalf) die Blornas,
Frau Woltersheim, Konrad Beiters und Katharina endlich zusammen. Es fanden
Umarmungen statt und es flössen Tränen, sogar von Frau Blorna. Natürlich
herrschte auch im Café Kloog Karnevalsstimmung, aber der Besitzer, Erwin
Kloog, der Katharina kannte, duzte und schätzte, stellte den Versammelten
sein privates Wohnzimmer zur Verfügung. Von dort aus telefonierte Blorna
zunächst mit Hach und sagte die Verabredung für den Nachmittag im Foyer
des Museums ab. Er teilte Hach mit, daß Katharinas Mutter wahrscheinlich
infolge eines Besuchs von Tötges von der ZEITUNG unerwartet gestorben sei.
Hach war milder als am Morgen, bat, Katharina, die ihm gewiß nicht grolle,
wozu sie auch keinen Grund habe, sein persönliches Beileid auszusprechen. Im
übrigen stehe er jederzeit zur Verfügung. Er sei zwar jetzt sehr beschäftigt mit
den Vernehmungen von Götten, werde sich aber freimachen, – im übrigen habe
sich aus den Vernehmungen Göttens bisher nichts Belastendes für Katharina
ergeben. Er habe mit großer Zuneigung und fair von ihr und über sie gesprochen.
Eine Besuchserlaubnis sei allerdings nicht zu erwarten, da keine Verwandtschaft
vorliege und die Definition »Verlobte« sich bestimmt als zu vage herausstellen
und nicht stichhaltig würde.
Es sieht ganz so aus, als sei
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