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Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Sphäre, die sie nicht als Intimsphäre bezeichnen möchte,
    weil das mißverständlich sei, denn sie sei ja nicht andeutungsweise intim mit
    Sträubleder geworden – sondern weil er sie in eine Lage gebracht habe, die sie
    niemand, schon gar nicht einem Vernehmungskommando hätte erklären können.
    Letzten Endes aber – und hier lachte sie – habe sie doch eine gewisse Dankbarkeit
    für ihn empfunden, denn der Schlüssel zu seinem Haus sei für Ludwig wichtig
    gewesen, oder wenigstens die Adresse, denn – hier lachte sie wieder – Ludwig
    wäre gewiß auch ohne Schlüssel dort eingedrungen, aber der Schlüssel habe es
    natürlich erleichtert, und sie habe auch gewußt, daß die Villa über Karneval
    unbenutzt sei, denn gerade zwei Tage vorher habe Sträubleder sie wieder einmal
    aufs äußerste belästigt, geradezu bedrängt und ihr ein Karnevalswochenende
    dort vorgeschlagen, bevor er die Teilnahme an der Tagung in Bad B. zugesagt
    habe. Ja, Ludwig habe ihr gesagt, daß er von der Polizei gesucht würde, er habe
    ihr aber nur gesagt, daß er Bundeswehrdeserteur sei und dabei, sich ins Ausland
    abzusetzen, und – zum drittenmal lachte sie – es habe ihr Spaß gemacht, ihn
    eigenhändig in den Heizungsschacht zu expedieren und auf den Notausstieg
    zu verweisen, der am Ende von »Elegant am Strom wohnen« an der Ecke zur
    Hochkeppelstraße ans Tageslicht führe. Nein, sie habe zwar nicht geglaubt, daß
    die Polizei sie und Götten überwache, sondern sie habe das als eine Art Räuber-
    und Gendarmromantik angesehen, und erst am Morgen – tatsächlich sei Ludwig
    schon um sechs Uhr früh weggegangen – habe sie zu spüren bekommen, wie
    ernst das ganze gewesen sei. Sie zeigte sich erleichtert darüber, daß Götten
    verhaftet sei, nun, sagte sie, könne er keine Dummheiten mehr machen. Sie habe
    die ganze Zeit über Angst gehabt, denn dieser Beizmenne sei ihr unheimlich.
    45.
    Es muß hier festgestellt und festgehalten werden, daß Samstagnachmittag und
    -abend fast nett verliefen, so nett, daß alle – die Blornas, Else Woltersheim und
    der merkwürdig stille Konrad Beiters – ziemlich beruhigt waren. Schließlich
    empfand man – und sogar Katharina selbst – die »Lage als entspannt«.
    Götten verhaftet, die Vernehmungen von Katharina abgeschlossen, Katharinas
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    Heinrich Böll
    Die verlorene Ehre der Katharina Blum
    Mutter, wenn auch vorzeitig, von einem schweren Leiden erlöst, die
    Beerdigungsformalitäten waren eingeleitet, alle erforderlichen Dokumente in
    Kuir für den Rosenmontag versprochen, an dem ein Verwaltungsangestellter
    sich freundlicherweise bereit erklärt hatte, sie trotz des Feiertages auszustellen.
    Schließlich bestand auch ein gewisser Trost darin, daß der Caféhausbesitzer
    Erwin Kloog, der jede Bezahlung des Verzehrten (es handelte sich um Kaffee,
    Liköre, Kartoffelsalat, Würstchen und Kuchen) strikt ablehnte, beim Abschied
    sagte: »Kopf hoch, Kathrinchen, nicht alle hier denken schlecht von dir.« Der
    Trost, der in diesen Worten verborgen war, mochte relativ sein, denn was heißt
    schon »nicht alle«? – aber immerhin waren es eben »nicht alle«. Man einigte
    sich darauf, zu Blornas zu fahren und dort den Rest des Abends zu verbringen.
    Dort wurde Katharina striktestens verboten, ihre ordnende Hand anzulegen, sie
    habe Urlaub und sollte sich entspannen. Es war Frau Woltersheim, die in der
    Küche Brote zurechtmachte, während Blorna und Beiters sich gemeinsam um
    den Kamin kümmerten. Tatsächlich ließ Katharina sich »einmal verwöhnen«. Es
    wurde später richtig nett, und wäre da nicht ein Todesfall und die Verhaftung
    eines sehr lieben Menschen gewesen, man hätte gewiß zu vorgerückter Stunde
    ein Tänzchen riskiert, denn immerhin war Karneval.
    Es gelang Blorna nicht, Katharina von dem geplanten Interview mit Tötges
    abzubringen. Sie blieb ruhig und sehr freundlich, und später – nachdem
    das Interview sich als »Interview« erwiesen hatte – lief es Blorna, wenn
    er zurückblickte, kalt den Rücken hinunter, wenn er bedachte, mit welch
    entschlossener Kaltblütigkeit Katharina auf dem Interview bestanden und wie
    entschieden sie seinen Beistand abgelehnt hatte. Und doch war er später nicht
    ganz sicher, daß Katharina an diesem Abend schon zum Mord entschlossen
    war. Viel wahrscheinlicher erschien ihm, daß die SONNTAGSZEITUNG den
    Ausschlag gegeben hatte. Man trennte sich friedlich, wieder mit Umarmungen,
    diesmal ohne Tränen, nachdem man

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