Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Sphäre, die sie nicht als Intimsphäre bezeichnen möchte,
weil das mißverständlich sei, denn sie sei ja nicht andeutungsweise intim mit
Sträubleder geworden – sondern weil er sie in eine Lage gebracht habe, die sie
niemand, schon gar nicht einem Vernehmungskommando hätte erklären können.
Letzten Endes aber – und hier lachte sie – habe sie doch eine gewisse Dankbarkeit
für ihn empfunden, denn der Schlüssel zu seinem Haus sei für Ludwig wichtig
gewesen, oder wenigstens die Adresse, denn – hier lachte sie wieder – Ludwig
wäre gewiß auch ohne Schlüssel dort eingedrungen, aber der Schlüssel habe es
natürlich erleichtert, und sie habe auch gewußt, daß die Villa über Karneval
unbenutzt sei, denn gerade zwei Tage vorher habe Sträubleder sie wieder einmal
aufs äußerste belästigt, geradezu bedrängt und ihr ein Karnevalswochenende
dort vorgeschlagen, bevor er die Teilnahme an der Tagung in Bad B. zugesagt
habe. Ja, Ludwig habe ihr gesagt, daß er von der Polizei gesucht würde, er habe
ihr aber nur gesagt, daß er Bundeswehrdeserteur sei und dabei, sich ins Ausland
abzusetzen, und – zum drittenmal lachte sie – es habe ihr Spaß gemacht, ihn
eigenhändig in den Heizungsschacht zu expedieren und auf den Notausstieg
zu verweisen, der am Ende von »Elegant am Strom wohnen« an der Ecke zur
Hochkeppelstraße ans Tageslicht führe. Nein, sie habe zwar nicht geglaubt, daß
die Polizei sie und Götten überwache, sondern sie habe das als eine Art Räuber-
und Gendarmromantik angesehen, und erst am Morgen – tatsächlich sei Ludwig
schon um sechs Uhr früh weggegangen – habe sie zu spüren bekommen, wie
ernst das ganze gewesen sei. Sie zeigte sich erleichtert darüber, daß Götten
verhaftet sei, nun, sagte sie, könne er keine Dummheiten mehr machen. Sie habe
die ganze Zeit über Angst gehabt, denn dieser Beizmenne sei ihr unheimlich.
45.
Es muß hier festgestellt und festgehalten werden, daß Samstagnachmittag und
-abend fast nett verliefen, so nett, daß alle – die Blornas, Else Woltersheim und
der merkwürdig stille Konrad Beiters – ziemlich beruhigt waren. Schließlich
empfand man – und sogar Katharina selbst – die »Lage als entspannt«.
Götten verhaftet, die Vernehmungen von Katharina abgeschlossen, Katharinas
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Mutter, wenn auch vorzeitig, von einem schweren Leiden erlöst, die
Beerdigungsformalitäten waren eingeleitet, alle erforderlichen Dokumente in
Kuir für den Rosenmontag versprochen, an dem ein Verwaltungsangestellter
sich freundlicherweise bereit erklärt hatte, sie trotz des Feiertages auszustellen.
Schließlich bestand auch ein gewisser Trost darin, daß der Caféhausbesitzer
Erwin Kloog, der jede Bezahlung des Verzehrten (es handelte sich um Kaffee,
Liköre, Kartoffelsalat, Würstchen und Kuchen) strikt ablehnte, beim Abschied
sagte: »Kopf hoch, Kathrinchen, nicht alle hier denken schlecht von dir.« Der
Trost, der in diesen Worten verborgen war, mochte relativ sein, denn was heißt
schon »nicht alle«? – aber immerhin waren es eben »nicht alle«. Man einigte
sich darauf, zu Blornas zu fahren und dort den Rest des Abends zu verbringen.
Dort wurde Katharina striktestens verboten, ihre ordnende Hand anzulegen, sie
habe Urlaub und sollte sich entspannen. Es war Frau Woltersheim, die in der
Küche Brote zurechtmachte, während Blorna und Beiters sich gemeinsam um
den Kamin kümmerten. Tatsächlich ließ Katharina sich »einmal verwöhnen«. Es
wurde später richtig nett, und wäre da nicht ein Todesfall und die Verhaftung
eines sehr lieben Menschen gewesen, man hätte gewiß zu vorgerückter Stunde
ein Tänzchen riskiert, denn immerhin war Karneval.
Es gelang Blorna nicht, Katharina von dem geplanten Interview mit Tötges
abzubringen. Sie blieb ruhig und sehr freundlich, und später – nachdem
das Interview sich als »Interview« erwiesen hatte – lief es Blorna, wenn
er zurückblickte, kalt den Rücken hinunter, wenn er bedachte, mit welch
entschlossener Kaltblütigkeit Katharina auf dem Interview bestanden und wie
entschieden sie seinen Beistand abgelehnt hatte. Und doch war er später nicht
ganz sicher, daß Katharina an diesem Abend schon zum Mord entschlossen
war. Viel wahrscheinlicher erschien ihm, daß die SONNTAGSZEITUNG den
Ausschlag gegeben hatte. Man trennte sich friedlich, wieder mit Umarmungen,
diesmal ohne Tränen, nachdem man
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