Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Katharina bei der Nachricht vom Tode ihrer
Mutter nicht gerade zusammengebrochen. Es scheint fast, als wäre sie erleichtert
gewesen. Natürlich konfrontierte Katharina Dr. Reinen mit der Ausgabe
der ZEITUNG, in der das Tötges-Interview erwähnt und ihre Mutter zitiert
wurde, sie teilte aber keineswegs Dr. Heines Empörung über das Interview,
sondern meinte, diese Leute seien Mörder und Rufmörder, sie verachte das
natürlich, aber offenbar sei es doch geradezu die Pflicht dieser Art Zeitungsleute,
unschuldige Menschen um Ehre, Ruf und Gesundheit zu bringen. Dr. Meinen,
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der irrigerweise eine Marxistin in ihr vermutete (wahrscheinlich hatte auch er
die Anspielungen von Brettloh, Katharinas Geschiedenem, in der ZEITUNG
gelesen), war ein wenig erschrocken über ihre Kühle und fragte sie, ob sie das
– diese ZEITUNGSmasche – für ein Strukturproblem halte. Katharina wußte
nicht, was er meinte, und schüttelte den Kopf. Sie ließ sich dann von Schwester
Edelgard in die Leichenkammer führen, die sie gemeinsam mit Frau Woltersheim
betrat. Katharina zog selbst das Leichentuch vom Gesicht ihrer Mutter, sagte
»Ja«, küßte sie auf die Stirn; als sie von Schwester Edelgard aufgefordert wurde,
ein kurzes Gebet zu sprechen, schüttelte sie den Kopf und sagte »Nein«. Sie
zog das Tuch wieder über das Gesicht ihrer Mutter, bedankte sich bei der
Nonne, und erst während sie die Leichenkammer verließ, fing sie an zu weinen,
erst leise, dann heftiger, schließlich hemmungslos. Vielleicht dachte sie auch
an ihren verstorbenen Vater, den sie als sechsjähriges Kind ebenfalls in der
Leichenkammer eines Krankenhauses zuletzt gesehen hatte. Else Woltersheim
fiel ein oder besser auf: daß sie Katharina noch nie hatte weinen gesehen, auch
nicht als Kind, wenn sie in der Schule zu leiden hatte oder Milieukummer sie
bedrückte. In sehr höflicher Weise, fast liebenswürdig bestand Katharina darauf,
sich auch bei den ausländischen Damen Huelva und Puelco für alles zu bedanken,
was sie für ihre Mutter getan hatten. Sie verließ das Krankenhaus gefaßt, vergaß
auch nicht, ihren einsitzenden Bruder Kurt telegrafisch durch die Verwaltung
des Krankenhauses verständigen zu lassen.
So blieb sie den ganzen Nachmittag und den Abend über: gefaßt. Obwohl sie
immer wieder die beiden Ausgaben der ZEITUNG hervorholte, die Blornas, Else
W. und Konrad B. mit sämtlichen Details und ihrer Interpretation dieser Details
konfrontierte, schien auch ihr Verhältnis zur ZEITUNG ein anderes geworden
zu sein. Zeitgemäß ausgedrückt: weniger emotional, mehr analytisch. In
diesem ihr vertrauten und freundschaftlich gesonnenen Kreis, in Erwin Kloogs
Wohnzimmer, sprach sie auch offen über ihr Verhältnis zu Sträubleder: er habe
sie einmal nach einem Abend bei Blornas nach Hause gebracht, sie, obwohl sie
das strikt, fast mit Ekel abgelehnt habe, bis an die Haustür, dann sogar in ihre
Wohnung begleitet, indem er einfach den Fuß zwischen die Tür gesetzt habe. Nun,
er habe natürlich versucht, zudringlich zu werden, sei wohl beleidigt gewesen,
weil sie ihn gar nicht unwiderstehlich fand, und sei schließlich – es war schon
nach Mitternacht – gegangen. Von diesem Tag an habe er sie regelrecht verfolgt,
sei immer wiedergekommen, habe Blumen geschickt, Briefe geschrieben, und es
sei ihm einige Male gelungen, zu ihr in die Wohnung vorzudringen, bei dieser
Gelegenheit habe er ihr den Ring einfach aufgedrängt. Das sei alles. Sie habe
deshalb seine Besuche nicht zugegeben bzw. seinen Namen nicht preisgegeben,
weil sie es für unmöglich angesehen habe, den vernehmenden Beamten zu
erklären, daß nichts, rein gar nichts, nicht einmal ein einziger Kuß zwischen
ihnen gewesen sei. Wer würde ihr schon glauben, daß sie einem Menschen
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wie Sträubleder widerstehen würde, der ja nicht nur wohlhabend sei, sondern
in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft seines unwiderstehlichen Charmes
wegen geradezu berühmt sei, fast wie ein Filmschauspieler, und wer würde
einer Hausangestellten wie ihr schon glauben, daß sie einem Filmschauspieler
widerstehen würde, und nicht einmal aus moralischen, sondern aus
Geschmacksgründen? Er habe einfach nicht den geringsten Reiz auf sie ausgeübt,
und sie empfinde diese ganze Herrenbesuchsgeschichte als das scheußlichste
Eindringen in eine
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