Die verlorene Ehre der Katharina Blum
gesellschaftsfeindliche Tendenzen
feststellen, die zu mildern nicht einmal Konrad Beiters gelingt. Da Else sich
immer mehr aufs kalte Büffet spezialisiert hat, sowohl, was die Planung wie
Erstellung und Überwachung betrifft, wendet sich ihre Aggressivität immer
mehr gegen die Partygäste, mögen es nun ausländische oder inländische
Journalisten, Industrielle, Gewerkschaftsfunktionäre, Bankiers oder leitende
Angestellte sein. »Manchmal«, sagte sie neulich zu Blorna, »muß ich mich mit
Gewalt zurückhalten, um nicht irgendeinem Seeger eine Schüssel Kartoffelsalat
über den Frack oder irgendeiner Zicke eine Platte mit Lachsschnittchen in den
Busenausschnitt zu kippen, damit die endlich das Gruseln lernen. Sie müssen
sich das mal von der anderen, von unserer Seite aus vorstellen: wie sie da alle
mit ihren aufgesperrten Mündern, oder sagen wir lieber Fressen, stehen, und
wie sich natürlich alle erst einmal auf die Kaviarbrötchen stürzen – und da gibt
es Typen, von denen ich weiß, daß sie Millionäre sind oder Millionärsfrauen, die
stecken sich auch noch Zigaretten und Streichhölzer, Petit-Fours in die Tasche.
Nächstens bringen sie noch irgendwelche Plastiktüten mit, in denen sie den
Kaffee davonschleppen – und das alles, alles wird doch irgendwie von unseren
Steuern bezahlt, so oder so. Da gibt es Typen, die sich das Frühstück oder das
Mittagessen sparen und wie die Geier übers Büffet herfallen – aber ich möchte
damit natürlich die Geier nicht beleidigen.«
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Heinrich Böll
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
56.
An handgreiflichen Gewalttätigkeiten ist bisher eine bekanntgeworden, die leider
ziemlich viel öffentliche Beachtung fand. Anläßlich einer Ausstellungseröffnung
des Malers Frederick Le Boche, als dessen Mäzen Blorna gilt, traf er zum
erstenmal wieder Sträubleder persönlich, und als dieser ihm strahlend
entgegenkam, Blorna ihm aber die Hand nicht geben wollte, Sträubleder Blornas
Hand aber geradezu ergriff und ihm zuflüsterte: »Mein Gott, nimm das doch
nicht zu ernst, wir lassen euch schon nicht verkommen – nur läßt du dich
leider verkommen.« Nun, es muß korrekterweise leider berichtet werden, daß
in diesem Moment Blorna Stäubleder wirklich in die F… schlug. Rasch gesagt,
um ebenso rasch vergessen zu werden: es floß Blut, aus Sträubleders Nase, nach
privaten Schätzungen etwa vier bis sieben Tropfen, aber, was schlimmer war:
Sträubleder wich zwar zurück, sagte aber dann: »Ich verzeihe dir, verzeihe dir
alles – angesichts deines emotionellen Zustandes.« – Und so kam es, da diese
Bemerkung Blorna über die Maßen zu reizen schien, zu etwas, das Augenzeugen
als »Handgemenge« bezeichneten, und wie es nun einmal so ist, wenn Leute wie
Sträubleder und Blorna sich in der Öffentlichkeit zeigen, war auch der Fotograf
von der ZEITUNG, ein gewisser Kottensehl, der Nachfolger des erschossenen
Schönner, zugegen, und man kann es vielleicht der ZEITUNG – da man ja
ihren Charakter inzwischen kennt – nicht übelnehmen, daß sie das Foto von
diesem Handgemenge publizierte mit der Überschrift: »Konservativer Politiker
von linkem Anwalt tätlich angegriffen.« Am nächsten Morgen natürlich erst.
Während der Ausstellung kam es noch zu einer Begegnung zwischen Maud
Sträubleder und Trude Blorna. Maud Sträubleder sagte zu Trude Blorna: »Mein
Mitleid ist dir gewiß, liebe Trude«, woraufhin Trude B. zu Maud S. sagte: »Tu
dein Mitleid nur schleunigst in den Eisschrank zurück, wo alle deine Gefühle
lagern.« Als sie dann noch einmal von Maud S. Verzeihung, Milde, Mitleid, ja
fast Liebe angeboten bekam mit den Worten: »Nichts, gar nichts, auch deine
zersetzenden Äußerungen können meine Sympathie verringern«, antwortete
Trude B. mit Worten, die hier nicht wiedergegeben werden können, über die nur
in referierender Form berichtet werden kann; damenhaft waren die Worte nicht,
mit denen Trude B. auf die zahlreichen Annäherungsversuche von Sträubleder
anspielte und unter anderem – unter Verletzung der Schweigepflicht, der auch
die Frau eines Anwalts unterliegt – auf Ring, Briefe und Schlüssel hinwies, die
»dein immer wieder abgewiesener Freier in einer gewissen Wohnung gelassen
hat«. Hier wurden die streitenden Damen durch Frederick Le Boche getrennt,
der es sich nicht hatte nehmen lassen, Sträubleders Blut geistesgegenwärtig
mit einem Löschblatt aufzufangen und zu einem – wie er
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