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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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Erst dann begann sie zu laufen.
    Der Brief brannte immer noch wie Feuer. Helene hatte sich überlegt, ihn doch an Friedel weiterzugeben, aber sie brachte es nicht über sich. Sie brachte es auch nicht über sich, ihn zu lesen. Stattdessen riss sie ihn irgendwann in kleine Fetzen und warf ihn in den Fluss.
    Für eine Weile schaute sie dabei zu, wie das Wasser die kleinen Papierstückchen mit sich riss, wie es manches schluckte und an Ort und Stelle in die Tiefe riss.
    Sie wollte schon zurückgehen, als ihr einfiel, dass sie der Mutter gesagt hatte, sie wolle Anton besuchen. Es war jetzt eine Zeit her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, damals, als sie einander wie zwei Verlorene begegnet waren.
    Sie hatte den Weidmann’schen Hof kaum betreten, da kam Antons Mutter aus dem Kuhstall. Als habe sie ein Gespenst gesehen, blieb die ältere Frau stehen. Verunsichert tat es Helene ihr gleich.
    »Guten Tag, Frau Weidmann!«, brachte sie endlich hervor.
    »Was machst du hier?« Das Erstaunen auf Ruth Weidmanns Gesicht hatte sich in Kälte verwandelt, doch erst die folgenden Worte trafen Helene bis ins Mark: »Verschwinde, du und deinesgleichen, ihr habt hier nichts zu suchen.«
    Dieses Mal zuckte Helene zusammen.
    »Frau Weidmann, ich …«
    »Wir haben uns nichts zu sagen.«
    Helene nickte. »Es tut mir leid, ich wollte …«
    »Geh einfach, deine Familie hat schon genug angerichtet …«
    »Mutter?«, mischte sich jetzt eine wohlbekannte männ liche Stimme dazwischen. Noch indem Antons Mutter sich umdrehte, konnte Helene sehen, wie Ruth Weidmann ein Lächeln auf ihre Lippen zwang.
    »Es ist alles in Ordnung. Unser Besuch geht schon wieder.«
    »Wer ist es?«
    Frau Weidmann antwortete nicht. Aus dem Innern des Stalls war das Brüllen einer Kuh zu hören, dann stand Anton im Eingang.
    »Helene«, rief er verblüfft aus, dann schaute er seine Mutter an. »Warum hast du nicht gesagt, dass es Helene ist?«
    Frau Weidmann hob die Schultern.
    Einige Minuten später befanden Anton und Helene sich auf einem Spaziergang zum nahe gelegenen Mühlenteich. Für die erste Strecke des Wegs schwiegen sie beide.
    »Du warst lange nicht mehr bei uns«, sagte Anton irgendwann.
    »Ja.« Helene blieb stehen. »Aber deiner Mutter scheine ich auch nicht willkommen zu sein.«
    Sie gingen wieder einige Schritte, bevor Anton antwortete. »Was Marianne getan hat, hat sie tief getroffen. Sie sagt, es habe mich zum Gespött des Dorfs gemacht.«
    Nun war er es, der stehen blieb. Helene tat es ihm gleich.
    »Es tut mir auch leid, was Marianne getan hat. Du warst immer gut zu ihr, du …« Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um Anton ins Angesicht blicken zu können. Er sah müde aus und älter, als er an Jahren zählte. Zudem war er noch schmaler geworden. Unvermittelt streifte er ihr eine Strähne Haar aus dem Gesicht. Dabei berührte seine rechte Hand ihre linke Wange.
    »Es war nicht deine Schuld, Helene.«
    »Ich weiß doch, aber …« Sein Mund verschloss ihre Lippen, bevor sie die nächsten Worte sagen konnte. Sie erwiderte seinen Kuss. Es war falsch und fühlte sich doch so richtig an.

S iebzehntes Kapitel
    Helene stand in der Tür, damit der Vater die Schwester nicht erwischte, und horchte auf das Kratzen von Mariannes Feder. Jeden Tag in dieser Woche hatte Marianne geschrieben. Jeden Tag hatte Helene die Briefe nach draußen getragen.
    Jeden Tag hatte sie sie in feine Fetzen gerissen und in den Fluss geworfen.
    Wenn Gott will, dachte sie, dann wird er mich an meinem Tun hindern, aber das tat er nicht. Er ließ es zu, dass sie Mariannes Briefe verschwinden ließ. Er ließ es zu, dass sie ihre eigenen Briefe an deren Stelle setzte, dass sie Gianluca vertröstete, der dennoch immer ungeduldiger wurde.
    Am nächsten Sonntag tauchte Anton auf, als sie die Brieffetzen gerade hatte in den Fluss fallen lassen. Helene konnte nicht sagen, ob er gesehen hatte, was sie da tat. Ein paar der größeren Papierstücke hatten sich an einem alten Ast in der Nähe verfangen. Sie bemühte sich, nicht dorthin zu sehen. Als Anton die Hand zum Gruß hob, hob sie die ihre.
    »Gehen wir spazieren?«, fragte er.
    »Deiner Mutter wird das nicht recht sein.«
    Anton lächelte traurig.
    »Ich bin froh«, sagte er, »dass ich das noch alleine entscheiden kann.«
    Er bot ihr seinen Arm. Helene hakte sich ein. Sie wusste nicht, wohin er gehen wollte, und ließ sich einfach führen. Eine Zeit lang ging es an den Weinbergen entlang, dann sah es für einen Moment so aus, als

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