Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
Vom Netzwerk:
auszuweichen.
    »Ich, nein … aber …« Entschlossen streifte sie die Berührung der Schwester ab, umfasste stattdessen selbst Mariannes Hände. »Du musst ruhig werden, Marianne. Du musst dich beruhigen, musst etwas essen und dann … dann … Wir finden einen Weg, hörst du? Aber du musst bei Kräften bleiben.«
    Sie drückte Marianne auf das Bett. Die Schwester wehrte sich nicht, es war mit einem Mal wieder, als sei alle Kraft aus ihr gewichen.
    Gemeinsam schwiegen sie.
    »Warum tut er das?«, fragte Marianne nach einer Weile.
    »Er hat es getan, weil er dich liebt, Marianne.«
    »Weil er mich liebt?« Zum ersten Mal, seit Helene in das Zimmer gekommen war, stiegen Marianne wieder Tränen in die Augen. »Er nimmt mir das Liebste auf der Welt, weil er mich liebt ? Was ist das denn für eine Liebe, um Gottes willen?« Heftig schüttelte sie den Kopf. »Du liebst mich, Lele, du bist bei mir.«
    Das schlechte Gewissen traf sie wie ein scharfer Stich, und damit würde Helene nun leben müssen. Marianne vertraute ihr, sie hatte sie verraten. Marianne war unglücklich, und sie freute sich darüber. Sie freute sich, endlich einmal die Stärkere zu sein.
    »Du musst essen«, sagte sie sanft. Unter ihrer Berührung bebten Mariannes Schultern.
    Auch am nächsten Tag bat Helene sich aus, Marianne besuchen zu dürfen. Wieder stimmte der Vater zu, auch wenn er zögerte.
    »Hat sie Vernunft angenommen?«, fragte er. »Ach, sag es nicht. Wie sollte ein Weib auch Vernunft annehmen. Das ist doch ein Widerspruch in sich.« Er lachte meckernd. Helene senkte den Kopf.
    Als sie dieses Mal das Zimmer betrat, saß Marianne auf dem Bett und sah ihr entgegen.
    »Ach, Lele«, rief sie, »ach, Lele, ich bin so froh, dass du da bist.«
    Unvermittelt sprang Marianne auf und umschlang Helene so fest, dass die nur mit Mühe einen Schmerzenslaut unterdrücken konnte. Aber es ließ sich aushalten, alles ließ sich aushalten, auch Mariannes Verzweiflung.
    »Ach, Lele, Lele, du bist die Einzige, der ich trauen kann.«
    Helene machte sich los.
    »Ich darf heute nur kurz bei dir bleiben«, sagte sie heiser.
    Marianne zog sie zum Bett hinüber.
    »Dann lass uns die Zeit nutzen!« Ein winziges, hoffnungsfrohes Lächeln umspielte ihren Mund. »Hast du etwas Neues herausbringen können? Weißt du etwas von Luisa?«
    Helene verneinte, spürte, wie die Schwester die Enttäuschung niederkämpfte. Danach sprachen sie über Belangloses. Zum Schluss bat Marianne um eine weitere Decke.
    »Meinst du, er lässt dich morgen wieder zu mir?«, fragte sie, als es Zeit war, zu gehen. Helene zuckte die Achseln.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hast du von Gianluca gehört? Hat er sich gemeldet?«
    Helene schüttelte den Kopf. Marianne biss sich auf die Lippen.
    »Bitte Vater darum«, flehte sie dann. »Ich brauche dich. Ich bin den ganzen Tag alleine, ich denke zu viel, ich …«
    Helene senkte den Blick. »Ich tue, was ich kann, Marianne.«
    Auch am nächsten Tag durften die Schwestern beieinandersitzen. Gegen Ende der Zeit, die ihnen vergönnt war, bat Marianne Helene, ihr Papier, Feder und Tinte zu bringen. Helene musste nicht fragen. Marianne würde einen Brief schreiben, einen Brief, der, was auch immer geschah und was immer ihre Schwester wünschte, niemals den Adressaten erreichen durfte.
    Der Rest des Tages verlief ruhig. Helene half der Mutter in der Küche, saß eine Weile beim Vater im Arbeitszimmer. Am späten Nachmittag – die Mutter und sie standen in der Küche und bereiteten eine Kartoffelsuppe zu – fragte sie wieder einmal nach ihrem Bruder. Sofort hielt die Mutter in ihren Bewegungen inne. Wortlos starrte sie den Topf auf dem Herd an, dann drehte sie sich um und starrte ihre jüngste Tochter an.
    »Meinst du nicht, wir hätten dir davon erzählt?«
    Helene zuckte die Achseln.
    »Nein, immer noch nichts«, antwortete die Mutter dann. Ihre Lippen zitterten. »Ich gräme mich, aber vor Vater darf ich nicht darüber sprechen, und, ach, Lele … Jetzt habe ich ihn womöglich verloren, und wenn der Vater so weitermacht, werde ich auch noch Marianne verlieren.«
    Das schlechte Gewissen meldete sich mit einer Wucht, die Helene für unmöglich gehalten hatte. Sorgsam und um sich Zeit zu geben, legte sie das Messer zur Seite, ging zu ihrer Mutter hinüber und umarmte sie. Noch nie im Leben hatte sie ihre Mutter auf diese Weise umarmt.
    »Du wirst niemand verlieren«, flüsterte sie und wusste doch, dass sie dies nicht mit Sicherheit sagen konnte. Die Schultern

Weitere Kostenlose Bücher