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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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nichts, hörst du? Gib mir Luisa zurück.«
    Sie ging einen weiteren Schritt auf ihn zu. Immer noch zögerte er, offenbar unschlüssig, was er tun sollte. Dann aber packte er sie beim Arm und zerrte sie ins Haus.
    Er hat mich eingesperrt. Marianne blieb die Luft weg. Dann rannte sie zur Tür und hämmerte mit den Fäusten dagegen. Draußen blieb es still. Kein Laut war zu hören, nur manchmal, wenn sie ganz angestrengt horchte, vermeinte sie Schritte zu hören. Dann schrie, weinte und hämmerte sie von Neuem, bis irgendwann ihre Fäuste schmerzten, bis die Knie zitterten und sie in sich zusammensackte und leise schluchzend nach vorne sank.
    Und seitdem lag sie da. Mit einer Wange schmiegte sie sich an den Dielenboden, spürte Staub und Schmutz auf ihrer Haut. Sie wollte wieder weinen, aber nun konnte sie nicht mehr. Es waren ihr keine Tränen mehr geblieben, nur noch Müdigkeit, Erschöpfung und Angst. Da der Vater ihr kein Licht gelassen hatte, lag sie irgendwann im Dunkeln da. Immer noch reglos, immer noch ohne Tränen.
    Sie dachte an Luisa, fragte sich, wie es ihr ging. Sie selbst blieb liegen, leer geweint und kraftlos. Sie hörte auch nicht mehr auf die Stimmen, die jetzt draußen zu hören waren. Sie achtete nicht auf die Schritte. Sie lag da, auf dem immer härteren Boden, gleich einer Puppe, die keine Kontrolle über ihre Glieder hatte.
    Marianne wusste nicht, wie lange sie so gelegen hatte, als sie irgendwann ein Kratzen an der Tür hörte. Gleich darauf war Helenes Stimme zu hören. »Marianne?«
    »Helene?« Marianne schob sich zum Sitzen hoch, kam auf die Knie und stand auf. Ihre Beine zitterten so stark, dass sie sich an der Wand festhalten musste. Dann räusperte sie sich.
    »Kannst du aufschließen? Hat Vater den Schlüssel stecken lassen?«
    Zuerst war nichts auf der anderen Seite zu hören, dann sagte Helene leise: »Ja.«
    Marianne seufzte vor Erleichterung. »Dann schließ auf«, sagte sie ungeduldig.
    »Ich kann nicht«, flüsterte Helene. »Papa hat’s verboten.«
    Marianne schwieg einen Moment. »Würdest du dann zu mir hereinkommen?«
    »Papa hat …«
    »Ich fühle mich alleine, Lele! Ich bin so furchtbar allein.«
    Auf der anderen Seite der Tür war wieder Stille, länger dieses Mal, so lange, dass Marianne schon glaubte, Helene habe sich einfach davongeschlichen. Dann drehte sich mit einem Mal der Schlüssel schabend im Schloss.
    Marianne trat einen Schritt von der Tür zurück. Die Tür schwang auf. Für einen Moment standen sich die Schwestern stumm gegenüber, dann breitete Marianne die Arme aus, und Helene stürzte sich hinein, als sei sie es, die Trost brauchte. Mit langsamen Bewegungen strich Marianne ihrer Schwester über den Rücken, während sie überlegte, was zu tun war. Unterdessen weinte Helene die Tränen, die sie selbst nicht mehr hervorbringen konnte.
    Sie standen lange so da, bevor sie sich wieder voneinander trennen mussten. Alleine ging Helene in das ehemals gemeinsame Zimmer hinauf, in dem sich nichts geändert hatte. Auf Mariannes Schreibtisch lagen eine Schreibfeder und ein geöffnetes Buch. Über dem Stuhl neben Helenes Bett hing ein Schultertuch. Es fühlte sich etwas klamm an, denn in dem Zimmer hatte sich lange niemand aufgehalten, aber jeder Gegenstand atmete seinen Besitzer.
    Nach dem Frühstück am nächsten Tag erbat Helene sich die Erlaubnis, Marianne besuchen zu dürfen.
    »Vielleicht bringst du sie ja zur Vernunft«, murrte der Vater nach kurzem Zögern und polterte dann, ohne ein weiteres Wort, zur Tür hinaus.
    Marianne hatte in der vergangenen Nacht offenbar nur wenig geschlafen. Noch nie hatte Helene sie in einem solchen Zustand gesehen. Das Haar hing ihr immer noch offen über die Schultern. Die Augen waren vom Weinen geschwollen, die Wangen fleckig und gerötet. Zuerst sagte Marianne nichts, dann stürzte sie auf die jüngere Schwester zu und umarmte sie.
    »Ich danke dir«, flüsterte sie heiser in Helenes Haare.
    Helene konnte sich einen Moment lang nicht rühren. Ein Gefühl der Zufriedenheit überfiel sie, und sie schämte sich dessen. Sie drückte Marianne fester an sich. Dann führte sie die Schwester zum Bett hinüber.
    »Setz dich, Marianne, denk an dein Kind.«
    »Aber sie ist fort, Helene. Was ist, wenn ich sie nie wiedersehe? Ich weiß ja nicht, wo sie ist. Weißt du es?«
    Unvermittelt hatte Marianne die Schwester bei den Armen gepackt und schaute ihr ins Gesicht. Helene musste alle Kraft aufwenden, um nicht zu zucken oder

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