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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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wolle Anton sie nach Hause bringen. Irgendwann blieb er stehen.
    »Eigentlich«, sagte er, »weiß ich nicht, wo ich hingehen möchte. Ich weiß gar nichts mehr, seit …«
    Indem Helene stehen blieb, ließ sie ihn verstummen. Dieses Mal war sie es, die ihn küsste.
    »Ich weiß es doch auch nicht«, flüsterte sie. »Nichts ist, wie es einmal war. Alles hat sich verändert.«
    Das wolltest du doch, fuhr die leise innere Stimme dazwischen, das hast du dir immer gewünscht.
    Sie streichelte über Antons rechten Arm. »Lass uns zur Mühle gehen, ja?«
    Anton schien erst zu zögern, dann nickte er. Als Kinder hatten sie sich Gruselgeschichten über diese Mühle erzählt, und auch heute noch, wenn wie jetzt Schatten über die Sonne zogen, konnte dieser Ort unheimlich wirken. Unwillkürlich schmiegte sich Helene an Anton, der legte den Arm fester um sie. Sie waren zwei Verlorene, die einander Halt gaben.

A chtzehntes Kapitel
    Helene wusste nicht, warum sie diesen einen Brief dann doch aufhob. Auch ihn las sie nicht. Zuerst trug sie ihn einen ganzen Tag lang unter ihrer Schnürbrust verborgen, dann versteckte sie ihn unter der Matratze. Da der Vater Marianne immer noch nicht aus dem Stubenarrest entlassen hatte, stand nicht zu befürchten, dass die Schwester irgendetwas bemerkte. Bald gelangte ein zweiter Brief hinzu, und dann noch einer. Manchmal meinte Helene, es knistern zu hören, wenn sie sich schlafen legte, aber das bildete sie sich natürlich ein. Manchmal fürchtete sie, Marianne könne doch etwas bemerken, könne misstrauisch werden. Vielleicht hatte die Ältere aber auch jedes Gefühl für die Zeit verloren in den einsamen Stunden in ihrem Zimmer.
    Noch immer weigerte sie sich, den Eltern in die Hand zu versprechen, nichts Unbedachtes zu tun. Und deshalb würde sie bis auf Weiteres eingesperrt bleiben. Und also schöpfte auch niemand Verdacht.
    Wer sollte auch auf Helenes Tun aufmerksam werden?
    Die Schwester jedenfalls zweifelte nicht an ihr.
    Ein paar Tage nach der Begegnung mit Anton stand der junge Mann erneut im Hof der Steins. Helene hörte zuerst nur, wie er mit dem Vater sprach. Aufgeregt lief sie zum Spiegel in ihrem Zimmer, richtete sich das Häubchen und kniff sich in die zu blassen Wangen. Dann lief sie zu ihnen und rief nach ihm.
    Anton drehte sich um. Als Erstes wurde sie sich gewahr, dass auch er blass aussah, aber er lächelte, als er sie bemerkte.
    »Darf ich Ihre Tochter zu einem Spaziergang entführen, Herr Stein?«, fragte er.
    Der Vater nickte kurz. »Aber um sechs ist sie zu Hause«, rief er ihnen nach.
    Dieses Mal gingen sie zur Mühle, ohne dass sie sich besprechen mussten. Es war wieder ein wärmerer Tag als die vergangenen. Wenn Helene Anton von der Seite ansah, bemerkte sie ein paar graue Strähnen in seinem dunklen Haar. Er hatte sich die Sache mit Marianne sehr zu Herzen genommen, und er tat ihr leid.
    Anders als bei ihren ersten kurzen Besuchen gingen sie dieses Mal halb um die Mühle herum, bis zu dem alten geborstenen Mühlrad. Auf dem Mühlbach tanzten und glitzerten die Sonnenstrahlen wie kleine Diamanten. Anton bot Helene den Arm, und sie hakte sich ein. Nun hielt sie den Kopf gesenkt, spürte ab und an seine Blicke auf sich.
    »Was sagt deine Mutter dazu, dass du mich triffst?«, fragte sie endlich.
    Sie hörte, wie er schwer ein- und ausatmete. »Was soll sie sagen, es ist meine Entscheidung.«
    Helene nickte, hob aber den Kopf immer noch nicht. Sie hatte sich schon gefragt, warum er sie traf, hatte sich gefragt, ob er versuchte, mit ihr die Lücke zu füllen, die die Schwester gerissen hatte. Sie wollte kein Ersatz sein, aber so, wie ihr dies jetzt klar wurde, so wurde ihr auch klar, dass sie nicht die Kraft hatte, ihn um eine ehrliche Antwort zu bitten. Und so kam eine weitere Lüge in ihr neues Leben.

Siebter Teil
    J udy
    Oktober 1997

E rstes Kapitel
    Judy kauerte auf dem Sofa im Zimmer ihrer besten Freundin Leyla, hatte die Knie angezogen und das Kinn darauf gestützt.
    »Meinst du wirklich, das klappt?«, fragte sie nicht zum ersten Mal in der letzten halben Stunde.
    Leyla, die im Schneidersitz auf ihrem Bett saß, die von Judy mitgebrachten Unterlagen neben sich, nickte ungeduldig.
    »Klar, wir haben doch alle Angaben, die wir brauchen, oder etwa nicht?« Leyla hob eine ihrer fein gezeichneten Augenbrauen und grinste Judy verschwörerisch zu. »Und Jesse besorgt uns heute noch den Flug. Das ist alles easy peasy , glaub mir.«
    Judy nickte unsicher. Jesse war nicht

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