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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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nicht gewusst, was sie von dem alten Mann halten sollte. Sie hatte ihn nicht erkannt in seinem guten Anzug, in dem er sich offenbar nicht wohlfühlte.
    Wer war das? Sie hatte ihn schon abwimmeln wollen, da hatte er unsicher gefragt: »Frau Neuberger? Frau Johanne Neuberger? Erinnern Sie sich nicht an mich?«
    Als er aus dem Halbdunkel hinter der Haustür in die helle Halle getreten war, hatte sie ihn erkannt. Onkel Lud wig – sie hatte ihn getroffen, als sie Claire auf dem Weingut besucht hatte, allerdings hatte er dort Arbeitsklei dung getragen und sich nur wenig mit den jungen Frauen abgegeben.
    Kurz darauf saßen sie in der Dienstbotenküche zusammen, die zu dieser Tageszeit leer war. Johanne hatte Lud wig ein Glas Wasser hingestellt und lauschte nun dem, was er zu berichten hatte.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte er gerade, »ich habe versucht, mich zu erinnern, aber es ist so lange her, und ich war damals ein kleiner Junge. Es gab da etwas in unserer Familie, ein alte, traurige Liebesgeschichte um zwei Schwestern und einen Italiener, die meine Tante Luisa gerne an Winterabenden erzählte und über die die Mägde seufzten. Ich dachte immer, die Geschichte sei erfunden, aber vielleicht stimmt das ja gar nicht. Vielleicht hat es diesen Gianluca, den Tante Luisa vor unserem inneren Auge ent stehen ließ, wirklich gegeben?«
    Gianluca, ein Italiener! Ein schlanker Mann mit dunklen Locken und dunklen Augen tauchte vor Johannes innerem Auge auf. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf die Uhr an der Wand hinter Ludwig. In einer halben Stunde fuhr Claires Zug.
    Kaum fünf Minuten später rannte Johanne durch die Eingangshalle zur Tür. Sie nahm sich nicht die Zeit, sich die Jacke überzuwerfen. Sie hatte auch kaum überlegt, als sie den Schlüssel zu Wilhelms Wagen gegriffen hatte. Sie war nicht häufig mit dem Mercedes gefahren, aber Wilhelm hatte sie manchmal fahren lassen, und die ein zige Möglichkeit, den Bahnhof zu erreichen, bevor Claires Zug abfuhr, war nun mal, mit diesem Auto dorthin zu fahren. Wilhelm würde außer sich sein, das wusste Johanne, aber sie hatte ja nie viel auf die Meinung ihres Bruders gegeben.
    Als Johanne aus der Einfahrt schoss, hätte sie beinahe den Hund der Nachbarin überfahren. Wild hupend bog sie wenig später in die Hauptstraße ein. Gerade erreichte sie die Alte Brücke, da verlor sie aus dem Nichts heraus die Kontrolle über den Wagen. Das Fahrzeug begann sich zu drehen. Sie schrie auf. Es drehte und drehte sich weiter, die Fahrbahnbegrenzung kam näher und noch näher, dann das Brückengeländer. Es knallte. Mit einem heftigen Ruck schleuderte Johanne nach vorne. Ihr Körper war plötzlich ein einziger brennender Schmerz. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie versuchte sich an etwas zu erinnern, aber sie konnte nichts denken. Dann war alles still.
    Claire stand an der Reling und schaute zum Land zurück, das vor ihren Augen langsam verschwamm. Sie wollte nicht an Friederike denken, aber wie immer, wenn man versuchte, nicht an etwas zu denken, drehte sich eigentlich jeder Gedanke darum. In Frankfurt am Bahnhof hatte sie noch darauf gehofft, dass jemand kommen und sie zu rückholen würde, aber noch nicht einmal Johanne war er schienen, um ihr Lebewohl zu sagen.
    In Bremen musste sie einen Tag warten, was sie nervös machte. Wieder war nichts geschehen. Niemand war aufgetaucht, niemand hatte ihr ein Telegramm überbracht. Sie war auch nicht verhaftet worden. Sie war an Bord gegangen im Wissen, dass das Schiff sonst ohne sie ablegte. Inzwischen verschwamm die Landmasse in der Ferne. Hatte sie wirklich das Richtige getan? War es richtig gewesen, Friederike zurückzulassen?

Neunter Teil
    D ie Liebenden
    Juli 1794

E rstes Kapitel
    Gleichzeitig wurden Helene und Marianne der Stimmen im Hof gewahr. Helene war als Erste bei der Tür, um nach zusehen, während die Ältere noch auf dem Bett kauerte. Erst seit Kurzem stand die Schwester nicht mehr unter Arrest, aber Helene hatte versprechen müssen, auf sie auf zupassen. Die Eltern sowie alle Mägde und Knechte waren heute Abend zu einem Fest im Nachbardorf aufgebrochen.
    »Bitte, lass mich nicht allein«, flehte Marianne jetzt.
    Helene drehte sich um, nickte dann knapp. Sie wür den Marianne ohnehin nicht ewig bewachen können, das hatte sie ihrem Vater schon längst sagen wollen. Wie sollte es sonst werden wie früher?
    Als sie in den Hof kamen, entdeckten die Schwestern, dass Licht im Stall brannte. War jemand früher von der

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