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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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Zusammenlauf der Schaulustigen begonnen hatte. Da war das Militär ausgerückt, die ganze Bürgerschaft dazu und die Schuljugend in weißen Schäferkleidern … Und was hatte es da alles zu sehen gegeben an Gesichtern und Kleidern und schönen und hässlichen Fratzen und hübschen Kindern und tumben Narren. Der Zug, in dem Kaiser und Kaiserin sich genähert hatten, hatte aus mehreren Sechsspännern bestanden, dahinter war eine Abordnung Mainzer Husaren mit ihren bloßen Degen gefolgt, dann eine große Anzahl blasender Kuriere und endlich auch der kaiserliche Wagen, worin er und sie, der Kurfürst von Köln und ein Bruder des Kaisers saßen, gefolgt von einer Menge nachlaufender Burschen, die sich zu diesem Zeitpunkt offenbar schon fast wund geschrien hat ten. Helene erinnerte sich daran, dass sich Marianne noch weiter nach vorne hatte drängen wollen, doch ihr Bruder, der zwanzigjährige Christoph, hatte sich der Schwes ter in den Weg gestellt und sie ärgerlich angefunkelt.
    »Wir sehen auch so genug von dem lächerlichen Popanz!«, hatte er barsch bemerkt, und wie so oft hatte Marianne angesichts seines heiligen Ernstes nur gelacht. Nun, sie war die Einzige, die über Christophs Politisiererei lachen durfte, ohne dass er Rache übte.
    Zur späteren Ankunft des Preußenkönigs hatte es dann geregnet, als ob sämtliche fränkischen Demokraten ihre Nachttöpfe über den gekrönten Häuptern ausleerten, wie Christoph auch gleich mit einem maliziösen Grinsen angemerkt hatte, wofür er von seinem Freund, Anton Weidmann, mit einem deutlichen Ausdruck des Unwillens bedacht worden war.
    In Antons und Christophs Freundschaft hatte der ein Jahr ältere Christoph stets das letzte Wort behalten, und das hatte den gutmütigen Anton bisher auch nie gestört, doch seit in Frankreich das Tohuwabohu herrschte – wie Anton es nannte –, begannen sich ihre Wege merklich zu trennen.
    Schon in den ersten Julitagen 1789 waren die beiden jungen Männer aneinandergeraten. Sie waren beide enttäuscht vom jeweils anderen, stritten sich, rauften sich mühevoll wieder zusammen und gerieten bei der nächsten Nachricht wieder in Streit. Während Christoph jede Meldung, die vom Aufruhr sprach, bejubelte, machte Anton mehr als deutlich, dass er hoffe, dem Spuk werde bald ein Ende gesetzt. Doch der Spuk dauerte nun schon gute drei Jahre an. Auch um darüber zu beraten, waren die Fürsten dieser Tage in Mainz zusammengekommen.
    Und ich werde alles getreulich beschreiben, dachte He lene, von dem Moment an, an dem der kaiserliche Wagen an der Treppe des Schlossbogens anlangte, über den Streit zwischen meinen Geschwistern, von Christoph und Antons Wortgefecht, bis hin zu dem Augenblick, an dem ich heute Abend im Bett liegen werde. Schlafen, ach, schlafen konnte man nach solch einem Ereignis ja ohnehin nicht.
    »Wenn dieser Zauber doch niemals aufhören würde!«, rief Marianne jetzt aus und hielt die jüngere Schwester im nächsten Moment von hinten mit beiden Armen umschlungen.
    Helene sah unwillkürlich zu Christoph hinüber, der am Vortag noch gemurrt hatte, dass es für einen freien Men schen lächerlich sei, solchermaßen zu gaffen, und der heute, genau wie die anderen, mit offenem Mund und kindlicher Freude das Spektakel verfolgte. Marianne hinter ihr wippte und tänzelte mittlerweile unablässig. Die Schwester konnte nie lange stillhalten.
    »Du bist aber kein freier Mensch«, hatte sie gestern auf Christophs anhaltendes Murren hin entgegnet.
    Einen Atemzug lang hatte es ausgesehen, als wolle der Bruder etwas Scharfes erwidern, doch dann hatte er ge schwiegen, und die Geschwister hatten einander lediglich mit Blicken gemessen.
    Mit einem Mal stolperte Helene rückwärts. Marianne hatte sie abrupt losgelassen und breitete die Arme aus, um gemeinsam mit den anderen Schaulustigen jubelnd den Aufstieg einer besonders großen Feuergarbe zu begleiten. Christoph trat an ihre Seite.
    Meine schönen Geschwister, dachte Helene, meine schönen, schönen Geschwister. Drei Jahre lagen zwischen ihnen – Helene starrte noch einmal Christoph an und dann Marianne –, und doch wirken sie manchmal wie Zwillinge. Beide hatten sie grünbraune Augen mit einem goldenen Funkeln darinnen und lichtbraunes Haar, in das der geringste Sonnenschein Fäden aus Kupfer webte. Sie waren schöne Menschen, Menschen, die sogar in einer größeren Menge wie dieser Aufmerksamkeit auf sich zogen. Menschen, die man einfach ansehen musste, die einen Platz für sich beanspruchten,

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