Die verlorene Koenigin
will?«
»Okay, Tania «, erwiderte Jade mit eigenartigem Nachdruck. »Wir werden’s versuchen, Tania.«
»Warum gerade ›Tania‹?«, fragte Natalie. »Also, mal abgesehen davon, dass sich der Name aus den Buchstaben von Anita zusammensetz t – was ist so toll daran?«
Tania runzelte die Stirn. Die Übereinstimmung der Buchstaben war ihr noch gar nicht aufgefallen. »Mir gefällt der Name einfach.«
»Ich wette, es war Evans Idee«, vermutete Lily. »Los, gib’s schon zu. Evan wollte, dass du deinen Namen änderst.«
»Nein, das stimmt nicht«, sagte Tania.
»Das ist doch irgendwie die Ironie des Schicksals, oder?«, meinte Jade und gestikulierte mit einem schlaffen Stück Pizza in der Hand herum. »Du und Evan, ihr spielt Romeo und Julia , und jetzt haben deine Eltern dir verboten, ihn zu treffe n – das ist genau wie im Stück!«
»Hoffentlich nicht«, sagte Tania. »Die beiden sterben am Schluss.«
Natalie grinste. »Du willst also nicht aus Liebe zu ihm sterben?«
»Nein danke!«
»Hey, wo wir gerade von Leuten sprechen, die aus Liebe sterben«, sagte Susheela plötzlich. »Habt ihr zufällig die letzte Folge von Spindrift gesehen? Coral Masters ist ja wohl total peinlich!«
Spindrift war eine Seifenoper, die täglich ausgestrahlt wurde und die alle in der Schule sahen, aber Tania konnte einfach nicht die nötige Begeisterung aufbringen, sich an der Unterhaltung zu beteiligen. Während die anderen weiterplapperten, überkam sie das Gefühl, innerlich weit weg in der Elfenwelt zu sein und ihre Freundinnen aus großer Entfernung zu beobachten.
Sie dachte an ihre Elfenschwestern und fragte sich, was Sancha und Hopie wohl von Pizza und Milchshakes halten würden. Und von Fernsehen und Radio und Filme n – all dies gab es nämlich im Elfenreich nicht. Wenn man Lust auf Unterhaltung hatte, musste man schon selbst dafür sorgen. Tania war sich sicher, dass Cordelia die Menschenmassen in London verabscheuen würde, auch wenn Zara die Großstadt vielleicht lustig fände. Ja, die Musik liebende Zara konnte sie sich gut in einem Club vorstellen!
»Wann fahrt ihr los?«, drang Lilys Stimme in Tanias Gedanken.
»Dienstag in einer Woche«, sagte Jade. »Florida, wir kommen!«
Tania wurde klar, dass ihre Freundin über die bevorstehenden Ferien sprach. »Kommt Dan auch mit?«, wandte sie sich an Jade. Dan war Jades älterer Bruder, der bereits auswärts auf die Uni ging.
»Wir haben jedenfalls ein Flugticket für ihn«, sagte Jade. »Aber als ich letztes Mal mit ihm gesprochen habe, war er noch ziemlich unentschlossen. Einige seiner Studienfreunde reisen den ganzen Sommer mit dem Rucksack durch Indien, und er hat überlegt, ob er sich nicht dranhängt.«
»Hast du denn schon irgendwas für die Ferien geplant, Anita?«, fragte Natalie. »Ups! Tut mir leid. Tania, meine ich.«
»Versuch’s doch mal mit Tanita«, schlug Rosa vor. »Oder Anitania.«
»Wahrscheinlich fahren wir nach Cornwall«, antwortete Tania, ohne auf Rosas Zwischenbemerkung einzugehen.
»Wow!«, sagte Jade mit gespielter Überraschung. »Schon wieder Cornwall! Nein, wie exotisch!« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Wie kommt es eigentlich, dass deine Eltern nie ins Ausland reisen, Tania? Wie kommt’s, dass du noch nie in deinem ganzen Leben in einem wirklich aufregenden Land warst?«
Tania lächelte nur wortlos.
Wenn ihr vom Elfenreich wüsste t …
III
D er Freitagvormittag in der Schule war eigenartig. Tania fand es peinlich, dass ihr Vater auf den Lehrerparkplatz fuhr und gemeinsam mit ihr im Vorzimmer des Schulleiters wartete, während alle, die an ihnen vorbeigingen, ihr seltsame Blicke zuwarfen.
Die Unterredung bei M r Cox war gar nicht so furchtbar schlimm; natürlich musste sie sich die erwartete Standpauke über verantwortungsbewusstes Verhalten anhören und darüber, dass man erst nachdenken solle, bevor man handle. Die Schärfe der Ermahnung wurde nur dadurch abgemildert, dass alle der Meinung waren, sie sei nach dem Unfall verwirrt gewesen.
Der Direktor bat sie deshalb, gleich zu melden, falls sie Nachwirkungen wie Kopfschmerzen oder Ähnliches spüre, dann entließ er sie. Nachdem Tania sich von ihrem Vater verabschiedet hatte, wappnete sie sich innerlich gegen die Neugier ihrer Mitschüler. So übel wie befürchtet kam es dann aber doch nicht, denn sobald klar war, dass sie zu ihrer Abwesenheit nicht mehr zu sagen hatte, als ihre besten Freundinnen schon wussten, verloren die anderen bald das Interesse und ließen
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