Die verlorene Koenigin
einmal zuvor gesehen: in Titanias leer stehenden Privatgemächern im Elfenpalast.
»Siehst du?«, sagte Sancha und zeigte auf den Reif mit den eingesetzten schwarzen Bernsteinen. »Einer der Steine wurde herausgelöst.«
Tatsächlich konnte Tania sehen, dass eine Fassung leer war.
»Mithilfe dieses Steins vermochte sich Rathina vor der Wirkung der Isenmortklinge zu schützen«, erklärte Cordelia. »Sie ging ins Verlies hinab und suchte den König von Lyonesse.«
»Und dann ließ sie ihn frei«, ergänzte Zara.
»Aber warum sollte sie so etwas tun?«, fragte Tania.
»Was in ihrem Kopf vorgeht, wissen wir nicht«, sagte Sancha. »Wahrscheinlich hoffte sie, der König von Lyonesse würde Gabriel finden und aus dem Exil zurückbringen. Lyonesse ist ein mächtiger Hexenmeister, er verfügt über ungeheuere Zauberkräfte. Rathina muss gehofft haben, dass er ihr für seine Befreiung eine Belohnung gewähren würde. Und diese Belohnung sollte die Rückkehr jenes Mannes sein, den sie liebt: des Verräters Drake.«
Tania gefror das Blut in den Adern. Also hatte Drake doch etwas damit zu tun. »Hat er eingewilligt, Gabriel zurückzubringen?«
»Das wissen wir nicht«, sagte Cordelia. »Lyonesse fehlt jeder Funken Ehrgefühl, Dankbarkeit kennt er nicht. Er würde sich niemals verpflichtet fühlen, Rathina für ihre Dienste zu belohnen. Eher würde er sie auf der Stelle töten.«
»Nein«, warf Zara sanft ein. »Ich glaube nicht, dass sie tot ist.«
»Ob tot oder lebendi g – Rathinas Taten haben Verzweiflung und Verderben über das Elfenreich gebracht«, sagte Sancha. »›Was hat unsere Schwester getan?‹, fragte ich Eden, als wir uns schließlich in einem sicheren Versteck befanden. ›Sie befreite den Hexenkönig von Lyonesse‹, erzählte Eden uns. ›Lyonesse brach aus dem Verlies aus, überwältigte Oberon im Schlaf und schloss ihn in eine Bernsteinkugel ein. Dann sprach er einen Zauber über das Schwert aus Isenmort, das sich in mehrere Eisenbänder verwandelte, die sich um die Bernsteinkapsel legten. Aus einem solchen Gefängnis vermag nicht einmal Oberon zu fliehen.‹«
»Unser Vater ist gefangen?«, stieß Tania bestürzt hervor.
»Ja, in der Tat«, gab Cordelia zu. »Nachdem Lyonesse diese Gräueltaten vollbracht hatte, kehrte er ins Verlies zurück, um seine Ritter zu befreien. Viele der Grauen Reiter waren dort während des jahrhundertelangen Krieges eingesperrt. Ich weiß nicht genau, wie viel e – ein- oder zweihundert vielleicht? Sie sind durch und durch grausam und böse. Erst wenn das Wasser der Tamesis rot von Blut ist, werden sie ihr grauenvolles Treiben beenden.«
»Sie töten?«
»Die Wenigen, die sich ihnen entgegenstellten, wurden erschlagen«, berichtete Cordelia. »Aber die meisten flohen. Hopie war unter denen, die entkamen. Sie und Lord Brython ritten gen Westen nach Caer Kymry in Talebolion, um Hilfe zu holen. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit der Ritter von uns, die wir im Palast zurückgeblieben waren, abgelenkt.«
»In dem Tumult führte uns Eden zu den Privatgemächern der Königin, um die Krone zu holen«, sagte Sancha. »Sie wollte unter allen Umständen verhindern, dass die schwarzen Bernsteine Lyonesse in die Hände fielen. Oberons Krone war bereits in seinem Besitz. Doch Titanias Geschmeide hat er nicht bekommen.« Sie berührte mit zitternder Hand die schwarzen Steine. »Auf diese Weise sind wir geschützt vor den Gefahren dieser barbarischen Welt«, murmelte sie. »Zumindest, bis die Grauen Ritter von Lyonesse kommen.«
»Können sie denn in die Welt der Sterblichen gelangen?«, fragte Tania. »Du sagtest doch, dass Eden den Zugang hinter euch versiegelt hat.«
»Das ist wahr«, sagte Sancha. »Aber es wird nicht lange dauern, bis Lyonesse das Geheimnis des Pirolglases lüftet und mit seiner Hilfe Graue Ritter in diese Welt entsendet.«
»Dann wehe der Menschheit!«, sagte Cordelia. »Oberons Krone enthält dreizehn schwarze Steine, deshalb können dreizehn Ritter durch das Glas in diese Welt geschickt werden. Dann werden sie eine Spur von Blut und Verwüstung hinter sich herziehen, an die man sich noch in ferner Zukunft erinnern wird.«
»Nein, das glaube ich nicht«, meinte Sancha. »Ich vermute eher, dass sie mit List und Tücke vorgehen werden, damit die Sterblichen sie nicht bemerken, bis sie uns gefunden und niedergemetzelt haben. Sie wollen uns tot sehen. Drei Tage lang haben wir uns vor den Rittern verborgen, während Eden an einem Zauber arbeitete, der ein
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