Die verlorene Koenigin
Tosen.
Edric kauerte auf dem Betonboden. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Als sie näher kam, bemerkte sie, dass er eine Schutzbrille trug. Seine Gestalt lag im Dunkeln, der Schweißbrenner erzeugte jedoch eine Strahlenkrone aus intensivem blauweißen Licht um Edrics Kopf, die seine Haare wie Fäden aus gesponnenem Silber leuchten ließ. In einiger Entfernung stand ein Metallzylinder, aus dem Röhrchen herausragten. Graue Rauchwolken stiegen auf und kräuselten sich der Decke entgegen.
Das Kristallschwert und die schwarzen Bernsteine lagen neben ihm. Jetzt war kein guter Zeitpunkt, um ihn zu stören. Also schlich Tania leise zurück und trat in den dunklen Flur. Aus dem Wohnzimmer drangen die Stimmen von Titania und den Prinzessinnen zu ihr.
Plötzlich überfiel sie das starke Verlangen, ihre Eltern anzurufen. Sie wollte gern ihre vertrauten Stimmen hören und über völlig normale Dinge sprechen.
Mum? Erinnerst du dich noch, al s …
Ja, natürlich, mein Schatz.
Ich auch! Ist das nicht toll? Ich kann mich auch noch daran erinnern!
Doch leider war das nicht möglich, denn sie kannte die Telefonnummer des Ferienhäuschens in Cornwall nicht und sie konnte ihre Eltern auch nicht über deren Handys erreichen. Sie hatte die Nummern auf ihrem eigenen Mobiltelefon gespeichert und das hatte sie bei dem chaotischen Aufbruch vergangene Nacht zu Hause liegen lassen.
Sie lauschte den Stimmen ihrer Elfenfamilie und wünschte sic h … ja, was eigentlich?
Wieder Anita Palmer zu sein?
Nein, das nicht.
Prinzessin Tania zu sein?
»Nein!«, flüsterte sie. »Auch das nicht. Ich weiß nicht, was ich will.«
Sie lief die Stufen in den ersten Stock hinauf. Auf dem oberen Treppenabsatz angekommen, öffnete sie im Dunkeln die Tür zu Jades Zimmer und ging hinein. Sie setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Sie fühlte sich, als würde sie langsam ihre Identität verlieren.
Echt verrückt , dachte sie, angesichts der Tatsache, dass ich viel mehr als ein Leben hatte!
Aber alle diese früheren Leben schienen ihr unwirklich. Vielleicht würde es ihre innere Zerrissenheit lindern, wenn sie mehr über ihre früheren Ichs wusste. Zumindest über eines dieser Leben konnte sie mit Sicherheit mehr in Erfahrung bringen. Sie rief eine Suchmaschine auf und gab »Ernest Llewellyn« ein.
Überrascht lachte sie auf, als sie über zweihunderttausend Treffer bekam.
»Was tust du da?«, ertönte plötzlich eine Stimme. Tania schreckte hoch. Sancha stand im Türrahmen und beobachtete sie.
»Weißt du noch, als ich euch von meiner seltsamen Zeitreise erzählt habe? Als ich ein kleines Mädchen in einer viktorianischen Familie war?«, fragte Tania. »Ich versuche gerade, im Netz etwas über sie herauszufinden.«
Sancha trat zu ihr an den Schreibtisch, stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Ich verstehe«, versicherte sie. »Dieses ›Netz‹ hilft dir, die Llewellyn-Familie einzufangen. So wie man mit dem Netz Fische fängt?«
Tania sah lächelnd zu ihr hoch. »Ja genau, es funktioniert wie ein großes elektronisches Fischernetz.«
»Ich würde gern mehr über diese Elektrizität erfahren«, bat Sancha. »Sie ist wundersam, aber da du keine Angst davor hast, habe ich auch keine.« Sie zog sich einen Stuhl heran. »Zeig mir, wie diese Errungenschaft der Sterblichen nach Wissen fischt!«
»Okay«, sagte Tania. »Als Erstes muss ich die Suche stärker eingrenzen.« Sie gab stattdessen »Ernest Llewellyn London« ein.
9570 1 Treffer.
»Siehst du?«, erklärte sie und deutete auf die Zahlen auf dem Bildschirm. »So viele Male wurden diese Worte gefunden.«
»Ein riesiges Meer«, bemerkte Sancha.
»Ja, das stimmt«, pflichtete Tania ihr lächelnd bei. »Aber ich glaube, ich habe schon gefunden, was wir suchen.« Sie klickte einen Namen auf der Liste an.
Eine neue Seite öffnete sich. Weiß mit blauer Schrift.
Ernest Llewellyn
1831–1869
Unter dem vergilbten Schwarz-Weiß-Foto eines Mannes in einer Dachkammer war eine lange Textpassage. Der Erfinder blickte ernst drein, seine Körperhaltung wirkte sehr steif. Tania erkannte trotzdem den warmherzigen Vater in ihm wieder, der die kleine Flora herumgewirbelt hatte.
»Das ist er«, sagte sie leise zu ihrer Schwester und begann den Text vorzulesen.
»Anerkannter Amateurwissenschaftler und -erfinder. Als Sohn eines Schmieds in Nordwales geboren, wuchs Ernest Llewellyn in einfachen Verhältnissen auf. Nachdem seine Familie jedoch nach
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