Die verlorene Koenigin
an Titania und war sich dabei auf einmal unsicher, wie sie sie nennen sollte. »Titania« klang seltsam, »Ihre Majestät« war zu formell, vielleicht war »Mutter« richtig? Nein, dazu war es noch zu früh. »Die anderen zeigen dir, wo die Küche ist«, sagte sie und vermied die Anrede. »Vielleicht könntest du uns etwas zu trinken machen? Ich gehe inzwischen mit Edric in den Keller hinunter. Es wird nicht lange dauern.«
Zumindest in dem fensterlosen Kellerraum konnten sie ohne Bedenken das Licht anknipsen. Der Keller quoll über vor Haushaltsgerümpel und kaputtem Plunder, aber in einer Ecke hatte M r Anderson seine Werkstatt. Dort standen drei Motorräder. Um sie herum lagen Ersatzteile verstreut: Räder, Deichseln, Teile von Motoren, Schutzbleche und Lenkstangen. Eine verriegelte Tür am anderen Ende des Kellers führte zu einer Betonrampe, auf der Jades Vater seine Motorräder in den Keller hinein- und wieder hinausschob.
Der Schweißbrenner lag auf einer Werkbank. Zubehör, Gebrauchsanweisung sowie das Sicherheitshandbuch fanden sie schließlich in einer Schublade. Edric begann, sich alles durchzulesen, während Tania nach oben ging, um nach Titania und den Prinzessinnen zu sehen.
Tania saß mit angezogenen Knien und gekreuzten Füßen auf dem Wohnzimmerteppich. Sie hatte ihre Arme um die Schienbeine geschlungen, das Kinn auf die Knie gestützt und lauschte den munteren Erzählungen ihrer Elfenfamilie. Sie sprachen über vergangene Zeiten im Elfenreich.
»Erinnert ihr euch noch an den Morgen von Cordelias sechzehntem Geburtstag?«, fragte Sancha. »Wie sie nur im Nachthemd zum Frühstück kam und uns aufgeregt erzählte, ein Hänfling sei in ihr Zimmer geflogen und habe ihr zum Geburtstag gratuliert!«
Zara klatschte vergnügt in die Hände.
»Genau!«, rief sie aus. »Und sie ließ sich durch nichts dazu bewegen, sich erst mal anzuziehen. Sie wollte unbedingt sofort in den Garten hinaus und mit allen Tieren sprechen.«
Bei der Erinnerung daran musste Cordelia schmunzeln. »Dabei habe ich damals nur ein paar Brocken ihrer Sprachen verstanden«, sagte sie. »Sie müssen mich für eine Närrin gehalten haben!«
»Haben denn alle Tiere ihre eigene Sprache?«, erkundigte sich Tania.
Cordelia nickte. »Einige verfügen nur über wenige Worte, andere sprechen hingegen eine Sprache, welche die unsere an Reichtum und Vielfalt weit übertrifft.«
»Und du beherrschst all diese Sprachen?«
Cordelia lachte. »Nein, nein«, wehrte sie ab. »Das würde ein zehntausendjähriges Studium erfordern. Aber ich kann viele Tiere des Elfenreichs verstehen, ihnen zumindest einen guten Tag wünschen und mich nach ihrem Befinden erkundigen. Das reicht aus. Ich möchte sie ja nicht zähmen. Sie müssen sie selbst bleibe n … wild. Manche Tiere wollen auch gar nicht mit uns Elfen sprechen.«
Tania versank in Schweigen. Sie hatte sich das alles ganz anders vorgestellt. Sie hatte gehofft, Titania würde ihr helfen, ihre Elfenseele aufzuspüren. Irgendwie hatte sie gedacht, dass die Erinnerungen an ihr früheres Leben beim Anblick der Königin zurückkehren würden. Doch das war nicht geschehen.
Zaras helles Lachen riss sie aus ihren düsteren Gedanken. Die Frauen sprachen gerade über ein Picknick am See, nördlich vom Palast. An eben diesem See hatte Oberon ein Mausoleum für Titania gebaut. Zara war damals noch ein Kleinkind gewesen. Sie hatte anscheinend versucht, auf einem Schwan zu reiten, aber der Vogel war davongeschwommen, und sie hatte bitterlich geweint.
»Und obgleich Eden gerade erst begonnen hatte, die Mystischen Künste zu erlernen«, fuhr Zara fort, »gelang es ihr, aus Schilf ein Boot zu formen, dass die Gestalt eines Schwans hatte. In meinem Schwanenschiff paddelte ich bis lange nach Einbruch der Nacht auf dem See umher.«
»Wir haben dich gerufen, aber du bist einfach nicht ans Ufer zurückgekommen«, sagte Titania. »Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern.« Ihr Blick blieb an Tania hängen und umwölkte sich. »Stimmt etwas nicht, Tania?«
Ja! Warum kann ich mich an nichts von alledem erinnern?
Sie brachte ein Lächeln zustande. »Ich sehe mal nach, ob Edric Hilfe braucht«, antwortete sie dann und erhob sich.
Als sie die Kellertür öffnete, schlug ihr ein beißender Geruch entgegen, begleitet von einem Schwall heißer Luft. Das Zischen des Schweißbrenners war nicht zu überhören.
Vorsichtig stieg Tania die Treppe hinunter. Das Zischen wurde lauter und steigerte sich zu einem durchdringenden
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