Die verlorene Kolonie
harten Metall, dass es den Bohrer augenblicklich stumpf gemacht hat. Die einzige Möglichkeit, die mir nun noch blieb, um das Ding zu öffnen, war, das Flugzeug zu zerstören. Und das brachte ich natürlich nicht über mich.
Ich ließ den Doppeldecker wieder an seiner Schnur baumeln, ging zum Kleiderschrank und holte den Gitarrenkoffer hervor. Mit dem Schlüssel schloss ich ihn auf und griff nach der Plastikhülle. Vorsichtig breitete ich die alten Schriftstücke auf meinem Teppich aus. Ben und Addy setzten sich neben mich und gemeinsam betrachteten wir die Dokumente.
„Die Handschrift sieht eher hingekritzelt aus. Als sei der Capitán in Eile gewesen“, bemerkte Ben
„Hm, stimmt.“ Sachte fuhr Addy mit dem Finger über die Schrift. „Sieht tatsächlich nach einer hastigen Dokumentation der Geschehnisse aus, besonders am Ende des Textes. Der letzte Eintrag ist ganz verschmiert und steht allein auf einem sonst leeren Bogen. Seltsam.“
„Was daran ist seltsam?“, fragte Ben.
Addy machte ein nachdenkliches Gesicht. „Könnte es ein, dass da eine Seite fehlt? Waren es tatsächlich nur drei Bögen, die du in der Bibliothek gefunden hast, Jerry?“
„Ja, drei beschriebene Seiten und die Karte.“
„Hmm, das ist schade.“
„Wir müssen eben mit dem arbeiten, was wir haben“, sagte Ben. Er legte die beschriebenen Seiten nebeneinander. „Schaut doch mal, der letzte Eintrag auf der zweiten Seite ist noch mit einem Datum versehen: 2. September 1590. Rodriguez Perrez schreibt über seinen Verdacht, dass die schwer befestigte Siedlung ein Kaperstützpunkt der Engländer sei und schmiedet Pläne, wie er hineingelangen könnte. Die nächste Notiz ist die auf der dritten Seite vom Sturm, aber ohne Datum. Das ist in der Tat eigenartig. Der Capitán hat doch bestimmt versucht, in die Siedlung einzudringen. Warum hat er nichts darüber geschrieben? Und warum ist die dritte Seite bis auf den Vermerk über den Sturm und den Aufbruch der Schiffe leer? Die Reise war doch noch nicht zu Ende. Ich glaube, Addy hat recht, da fehlt eine Seite.“
Ich dachte darüber nach.
„Und noch etwas ist auffällig“, klinkte sich Addy wieder ein. „Die Karte von Rodriguez Perrez ist gleichfalls nur eine grobe Skizze und keine ordentliche Kartographie. Warum? Und warum hat der Capitán den Bericht nicht noch einmal ins Reine geschrieben? So wurde doch mit den meisten Schriftstücken verfahren, bevor sie ins königliche Archiv aufgenommen wurden.“
„Weil es keine Abschrift im Archiv des spanischen Königs gibt!“, sagte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. „Womöglich handelt es sich hierbei um das einzige, noch existierende Original. Dafür würde auch sprechen, dass ich darüber bisher nichts in den Chroniken finden konnte. Ich habe nämlich deine Recherchen fortgesetzt, Ben, aber weder ein Capitán Rodriguez Perrez taucht dort auf, noch eines seiner Schiffe. Und ich bin bis 1610 gekommen. Könnte doch sein, dass die Seiten aus dem Logbuch des Capitáns stammen, und das ist vielleicht nie nach Spanien gelangt, sondern durch irgendeinen Zufall hier in Amerika geblieben. Möglicherweise hat Rodriguez Perrez Schiffbruch erlitten, und seine Habseligkeiten wurden an unserer Küste angespült.“
„Könnte sein!“, sagte Addy. „Oh, ist das aufregend!“ Ich sah, wie in ihren Augen das Jagdfieber aufleuchtete.
„Ho, ruhig Leute. Es könnte aber auch bloß eine Fälschung sein“, gab Ben zu bedenken. „Ich will ja nicht unken, aber wir sollten nicht zu voreilig sein und das Ganze rein wissenschaftlich betrachten. Ohne Altersdatierung können diese Seiten alles Mögliche bedeuten. “
„Morgen werden wir es genau wissen. Die Proben laufen heute Nacht durch“, sagte ich.
„Gut, dann lasst uns mal die Karte untersuchen.“ Ben hob das Papier an und befühlte es. „Es ist ziemlich dick. Dicker als das Papier der Handschriften. Jerry, hol doch mal einen Atlas.“
Ich stand auf, nahm das Tablet vom Schreibtisch und gab eine Webadresse in das Suchfeld ein. Kurz darauf erschien eine digitale Karte von der Ostküste der USA. Ich zoomte die Gestade von North Carolina bis New Jersey heran, genau den Küstenabschnitt, welchen Rodriguez Perrez aufgezeichnet hatte, und zeigte es meinen Freunden.
„Dann vergleichen wir doch mal“, sagte Ben und überprüfte die Verläufe der Küstenlinien beider Karten. An einer Stelle blieb er hängen und stieß ein nachdenkliches „Hmm“ aus.
„Was ist? Hast du was gefunden?“,
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