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Die Verlorene Kolonie

Die Verlorene Kolonie

Titel: Die Verlorene Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin Colfer
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Dämon nicht verankert, und Abteilung Acht konnte sich in aller Ruhe diese Menschenwesen schnappen. Wenn sie dem Schützen einen kleinen Stupser mit ihrem Elektrostock verpasste, würde er für ein paar Sekunden die Kontrolle über die Motorik verlieren, und das würde genügen. Währenddessen konnte der Dämon ungestört erscheinen und wieder verschwinden.
    Da roch Holly brennendes Ozon und spürte Hitze an ihrem Arm. Artemis irrte sich doch nicht. Sie hatte keine Zeit mehr. Jemand war im Anmarsch.
     
    * * *
     
    Bei seinem Erscheinen war Nr. 1 noch mehr oder weniger unversehrt. Die Reise hatte ihn das oberste Glied seines rechten Zeigefingers und etwa zwei Megabyte an Erinnerungen gekostet, aber es waren größtenteils unangenehme Erinnerungen gewesen, und mit seinen Händen hatte er sich ohnehin nie sonderlich geschickt angestellt.
    Das Entmaterialisieren ist nicht besonders schmerzhaft. Das Materialisieren dagegen ist geradezu ein Freudenfeuer. Das Gehirn ist so selig, wenn alle Einzelteile des Körpers wieder zusammenfinden, dass es eine wahre Flut von Glückshormonen aussendet.
    Nr. 1 betrachtete den Knubbel, an dessen Stelle vorher sein Zeigefinger gewesen war. »Sieh mal an«, sagte er kichernd. »Kein Finger.«
    Dann bemerkte er die Menschenwesen. Hunderte von ihnen, in Halbkreisen angeordnet, die bis zum Himmel reichten. Nr. 1 wusste sofort, wo er sich befand.
    »Ein Theater. Ich bin in einem Theater. Mit nur siebeneinhalb Fingern. Ich habe nur siebeneinhalb Finger, nicht das Theater.« Diese Beobachtung führte zu einem weiteren Heiterkeitsausbruch, und das wäre es normalerweise für Nr. 1 gewesen. Er wäre zum nächsten Halt in seiner interdimensionalen Reise katapultiert worden, wenn nicht eines der Menschenwesen neben der Bühne ein Rohr auf ihn gerichtet hätte.
    »Rohr«, sagte Nr. 1, mächtig stolz auf seine Kenntnis der Menschenworte, und zeigte mit dem Fingerstummel darauf.
    Danach ging alles sehr schnell. Die Ereignisse wirbelten vorbei, umflirrten ihn wie bunte Farbkleckse. Das Rohr blitzte auf, und über seinem Kopf explodierte etwas. Eine Biene stach Nr. 1 ins Bein, eine Frau stieß einen gellenden Schrei aus. Direkt unter ihm galoppierte eine Tierherde hindurch, möglicherweise Elefanten. Dann verschwand zu seiner Bestürzung plötzlich der Boden unter seinen Füßen, und alles wurde schwarz. Die Schwärze an Gesicht und Händen fühlte sich rau an.
    Das Letzte, was Nr. 1 hörte, bevor die Schwärze ihn umfing, war eine Stimme. Keine Dämonenstimme - sie hatte einen helleren Klang. Irgendwas zwischen einem Vogel und einem Wildschwein.
    »Willkommen, Dämon«, sagte die Stimme und lachte hämisch.
    Sie wissen Bescheid , dachte Nr. 1, und er wäre in Panik geraten, hätte das Chloralhydrat, das durch die Beinwunde in seinen Kreislauf eindrang, solcherlei Anstrengungen zugelassen. Sie wissen alles über uns.
    Dann liebkoste das Betäubungsmittel sein Gehirn und stupste ihn über eine Klippe in ein tiefes, schwarzes Loch.
     
    * * *
     
    Artemis beobachtete das Geschehen von seiner Loge aus. Ein bewunderndes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als sich der Plan vor seinen Augen geschmeidig entrollte wie ein kostbarer tunesischer Teppich. Wer immer dahintersteckte, war gut. Mehr als gut. Vielleicht waren sie ja miteinander verwandt. »Richten Sie die Kamera auf die Bühne«, sagte Artemis zu Butler. »Holly übernimmt die Loge gegenüber.«
    Alles in Butler drängte danach, Holly Deckung zu geben, doch sein Platz war an Artemis' Seite. Und schließlich konnte Captain Short selbst auf sich aufpassen. Butler vergewisserte sich, dass seine Armbanduhr weiter auf den berechneten Punkt ausgerichtet war. Artemis würde ihm nie verzeihen, wenn er auch nur eine Tausendstelsekunde des Spektakels verpasste.
    Die Oper näherte sich ihrem Ende. Norma führte Pollione zum Scheiterhaufen, wo sie beide verbrannt werden sollten. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Mit Ausnahme jener, die ein etwas unterirdischeres Schauspiel verfolgten.
    Die Musik war schicksalsschwer und lieferte damit zufällig den passenden Soundtrack zu dem echten Drama, das sich im Theater abspielte.
    Es begann mit einem elektrischen Knistern auf der rechten Seite der Bühne. Kaum wahrnehmbar, es sei denn, man wartete darauf. Und selbst wenn einige der Zuschauer die Funken bemerkten, beunruhigte sie das nicht weiter. Vielleicht war es der Reflex eines Scheinwerfers oder einer von diesen Spezialeffekten, die die Regisseure heutzutage so

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