Die verlorene Tochter (Romantik Thriller /Unheimlich) (German Edition)
Bildhauer umfaßte ihre Schultern. "Überlassen Sie meinen Vi ncent Frauen wie Jessica Price. Sie verdient nichts Besseres. Aber Sie..."
"Sie sollten sich um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, Mister Winslow", entgegnete Sharon wütend und schüttelte seine Hände ab. "An Ihrer Stelle würde ich mich schämen, in Grund und Boden schämen." Sie drehte sich halb um. "Julie, komm, wir g ehen."
Ihre Tochter sprang auf. "Was habt ihr denn?" fragte sie und griff nach Sharons Hand.
"Es ist nichts, Julie, nur ein kleiner Streit." Steven lächelte ihr zu. "Deine Mutter braucht Zeit, über das nachzudenken, was ich ihr gesagt habe. Also, mach dir keine Gedanken."
"Ich habe nicht vor, über Ihre Worte nachzudenken", erklärte die junge Frau. Sie umfaßte Julies Händchen fester, dann verließ sie mit ihrer Tochter das Atelier. Sie spürte, daß Steven Winslow ihr nachschaute. Es fiel ihr schwer, sich nicht umzudrehen.
"Warum bist du so wütend, Mommy?"
War sie wütend? Sharon war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie wirklich Wut empfand. Sie gestand sich ein, daß sie Steven Winslow mochte. Nichts, was er an diesem Vormittag gesagt ha tte, hatte sie tief getroffen. Lord Winslow konnte sehr selbstherrlich sein, das stimmte. Sie traute es ihm durchaus zu, seiner Frau das Leben zur Hölle gemacht zu haben, zumal, wenn er dahintergekommen war, daß Steven sie liebte.
Julie löste sich von der Hand ihrer Mutter, um alleine den Klippenpfad hinunterzusteigen. Gerade noch im letzten Auge nblick konnte Sharon sie daran hindern. Sie beschloß, nicht länger über die beiden Brüder nachzudenken, sondern sich voll und ganz ihrer Tochter zu widmen. Keiner der Brüder hatte das Recht, sie in ihre Streitigkeiten hineinzuziehen. Sie war nach Winslow Manor gekommen, um hier zu arbeiten. Das Privatleben der Winslow ging sie nichts an.
13. Kapitel
Nach und nach schien sich die Atmosphäre auf Winslow Manor zu entspannen. Es sah aus, als hätte sich Lord Winslow mit der Anwesenheit seines Bruders abgefunden. Die gemeinsamen Mahlzeiten verliefen wieder ruhiger und in freundlicher Stimmung. Beide Brüder schienen alles zu vermeiden, was einen Streit vom Zaun brechen konnte. Lord Winslow duldete sogar, daß sich sein Bruder hin und wieder um Julie kümmerte. Selbst als Steven ihm sagte, daß ihm das kleine Mädchen Modell sitzen würde, ging er schweigend darüber hinweg.
Drei Wochen nach Stevens Ankunft erwachte die junge Frau wieder von der hellen Kinderstimme, die 'twinkle, twinkle, little star ...' sang. Vorsichtig öffnete sie die Augen. Nur zwei Meter von ihrem Bett entfernt, stand das kleine Mädchen, das sie wä hrend ihres Aufenthaltes auf Winslow Manor schon öfters gesehen hatte.
Es schien ganz in bläuliches Licht getaucht.
"Bist du Viola?" fragte sie und richtete sich langsam auf. Ein Teil ihres Selbst fand es lächerlich, auch nur einen Gedanken an Gespenster zu verschwenden, der andere war sich bewußt, daß es sich bei dieser Lichtgestalt um kein Hirngespinst handelte, sondern um ein sehr reales Wesen.
Das Lied verstummte. Das Mädchen sah sie an. Es streckte die Hand nach ihr aus, seine Lippen bewegten sich. Aber Sharon ve rstand kein Wort von dem, was das Kind zu ihr sagte.
"Du mußt lauter sprechen", flüsterte sie heiser.
Das Mädchen wiederholte, was es gesagt hatte, doch noch immer war es der jungen Frau unmöglich, auch nur ein Wort davon zu verstehen.
Das Gesicht des Kindes verzerrte sich vor Angst. Seine Augen wurden groß vor Entsetzen. Dann verblaßte das Licht. Von einer Sekunde zur anderen löste sich die Gestalt auf. Aber plötzlich erklang wieder das Lied. Es wurde leiser und leiser und ve rstummte.
Sharon strich sich mit beiden Händen über das Gesicht. Je lä nger sie über die Erscheinung nachdachte, um so sicherer wurde sie sich, daß das Mädchen sie hatte warnen sollen. Aber wovor? Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ihnen auf Winslow Manor eine Gefahr drohte.
Die junge Frau stand auf und trat barfuß auf den Balkon hi naus. Ihr Blick glitt weit über den Park bis zu den Klippen. Das Rauschen der Brandung erfüllte die Luft. Ein feiner Geruch von Fisch und Tang wehte bis zu ihr hinüber. Sie legte den Kopf zurück und sah zum sternenübersäten Himmel hinauf. Kühler Nachtwind streifte ihr Gesicht.
Absichtslos beugte sich Sharon über die Balkonbrüstung und bemerkte, daß im Arbeitszimmer noch Licht brannte. Sie fragte sich, was Lord Winslow um diese Zeit noch an seinem
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