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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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fordern, bekomme auch noch 24 Taler außerdem ausgezahlt und hoffe eins von meinen vier Pferden günstig zu verkaufen. Du siehst, daß ich in dieser Hinsicht jetzt auch nicht so übel dran bin.«
    In jedem anderen als dem 10. Korps hätte man einen solchen Brief zu dieser Zeit mit ungläubigem Staunen gelesen.Versorgung mit Pelzen und Ohrenklappen, Besitz von vier Pferden, Kauf von Kleidungsstücken, ein richtiges Dach über dem Kopf und Zeitvertreib bei Kartenspiel und politischer Diskussion! Selbst Sachsen und Österreichern, denen es immer noch besserging als der sich im Chaos befindenden Hauptarmee, hätten solche Verhältnisse wie eine Fata Morgana erscheinen müssen. Das 10. Armeekorps konnte nur darum ein so relativ angenehmes Leben führen, weil es sich zwischen Mitau und der preußischen Grenze in einem ziemlich wohlhabenden und unzerstörten Landstrich befand und die Russen sich darauf beschränkten, nur noch kleinere Gefechte zu liefern. An allen anderen Abschnitten aber war die Front in starker Bewegung, denn Wittgensteins Divisionen hatten jetzt die Düna überquert und trieben die Reste des 2. und 6. Armeekorps samt den spärlich eingetroffenen Reserven vor sich her. Und der Gipfel des Elends war noch nicht erreicht.

17. DER ÜBERGANG ÜBER DIE BERESINA
    Für Napoleon wurde es eng. Das wußte er, und die Russen wußten es auch. General Wittgenstein hatte mit seiner Armee die Düna überschritten und drängte die ihm gegenüberstehenden Reste des 2., 6. und 9. Armeekorps immer mehr zurück in Richtung Borisow. Hier stand die einzige über die Beresina führende Brücke. Auf die zielten auch die nordwärts vorrückenden Einheiten der Armee Tschitschagows, deren Spitzen auf beiden Seiten des Flusses Borisow erreicht hatten. Und schließlich drängte von Osten her die von General Miloradowitsch geführte Avantgarde der Armee Kutusows. Könnte man bei Borisow die Rückzugsstraße Napoleons abriegeln, ließen sich die Überreste der Grande Armée einkesseln.
    Am Abend des 22. November – Napoleons Quartier war in Toloczin – überfielen den Kaiser düstere Gedanken. Er lag inseinem Feldbett, vor ihm standen Pierre Graf Daru, Generalintendant der Grande Armée, und Michel Duroc, einer seiner engsten Vertrauten. Am Vortag war General Jan Henryk Dabrowski von den Russen bei Borisow geschlagen worden, der Übergang über die Beresina war nun im Besitz des Feindes. Die drei erörterten die Frage, was geschehen würde, wenn sie den Russen in die Hände fallen sollten: Staatsgefangene? Kriegsgefangene? Erstmals hörte man Napoleon sagen: »Wir befinden uns in einer bejammernswerten Lage.« Und: »So geht es, wenn man Fehler auf Fehler häuft.« Er befahl, alle mitgeführten Dokumente sofort zu vernichten, und ließ tags darauf die Fahnen und Standarten seiner Armee vor seinen Augen verbrennen. Keiner der die Feldzeichen krönenden goldenen Adler sollte Beute des Feindes werden. Napoleon konnte jetzt vom Schicksal nur noch auf ein Wunder hoffen, und es wurde ihm gewährt.
    Am 23. November, als die Fahnen und Standarten zu Asche zerfielen, griff Marschall Oudinot mit 3600 Soldaten und 12 Kanonen die Avantgarde Graf Pahlens bei und in Borisow an. Durch ihre Erfolge sorglos geworden, hatten es die Russen versäumt, die Position des Feindes zu erkunden, und dessen Angriff erfolgte daher für sie gänzlich überraschend. Zuerst jagten französische Kürassiere und polnische Lanciers auf die Kavallerie des Gegners los und zersprengten sie völlig. Russische Jäger zu Fuß versuchten sich in Karrees zu schützen, aber ihr Feuer war so miserabel, daß fast niemand getroffen wurde. Doch der Infanterie ging schnell die Munition aus, ihre Einheiten lösten sich auf und rannten, ihre Waffen fortwerfend, in wilder Flucht davon. Zwar konnte Pahlen noch dem auf dem anderen Ufer stehenden Tschitschagow eine Warnung schicken, aber der Admiral hielt sie für übertrieben und tat erst einmal gar nichts. Erst als die abgesessenen Kavalleristen der französischen Jäger-Regimenter die Brücke stürmten, erfolgte der Gegenangriff durch russische Grenadiere, die den Angriff zurückschlugen und die Brücke inBrand setzten. So blieb Tschitschagow auf dem anderen Ufer stehen, die Truppen Pahlens flohen. Die Beute der Sieger war unerwartet groß. Ihnen fielen 1500 russische Offizierswagen aus der Armee Tschitschagows in die Hände. Oberst Marcellin de Marbot, der mit seinem 23. Jäger-Regiment teilgenommen hatte, berichtet: »Ich war

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