Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug
Sie gingen voraus in die Stadt, beschlagnahmten alles und drohten den Juden mit Plünderung und Todesstrafe, wenn sie ohne Erlaubnis irgend etwas verkauften. Kamen die Truppen an, ehe das Geschäft beendet war, so mußten sie draußen warten, bis Probsthayn schickte; nicht einmal die Quartiermacher der Generale durften hinein. In den kalten und kurzen Wintertagen wurde diese Maßregel für die ermüdeten, hungrigen und vor Kälte starrenden Truppen äußerst lästig. (…)
Rozana hatte eine reiche handelnde Judenschaft und selbst einige Fabriken. Die Eigentümer hatten ihre Warenlager am besten zu schützen geglaubt, wenn sie sie in das Schloß brachten. Hier nahm der Intendant sie in Beschlag. Außer den übrigen Requisitionen nahm er ihnen noch einen großen Vorrat von Leder und 600 Ballen grobes Tuch. Dieses sollte verwendet werden, um den Leuten Beinkleider, Mäntel und Schuhe zu machen. Die Regimenter mußten angeben, was sie nötig gebrauchten, und sobald ein Augenblick Zeit, wurden alle Schuster und Schneider unter den Truppen und unter den Juden in der Gegend, wo wir standen, in Arbeit gesetzt. Als aber die Sachen ausgegeben werden sollten, erschien ein Befehl, daß jedem Mann für Mantel, Beinkleider und Schuhe 4 Taler und 20 Groschen von der Löhnung abgezogen werden sollten. So mußten die Truppen im August ihre schon den 1. Mai verdienten Montierungsstücke bezahlen, zu denen der Stoff geraubt und die Arbeit erzwungen und unentgeltlich geleistet worden war.«
Die vereinigten Sachsen und Österreicher schlugen Tormassow am 12. August bei Poddubno und am 25. August beiLuboml. Diese bescheidenen Siege veränderten die allgemeine militärische Lage nicht. Die russische Abwehr war nicht zu durchbrechen, die russische Seite noch nicht stark genug, eine wirkliche Offensive zu wagen. Auch als sich am 14. September die Moldau-Armee des Admirals Tschitschagow mit 50 000 Soldaten Tormassows 3. West-Armee anschloß, zeigten die Russen kein Interesse daran, die vereinigten Sachsen und Österreicher zu zerschlagen, was sie mühelos gekonnt hätten, denn Tschitschagows Aufgabe war, nach Norden vorzustoßen, um Napoleon die Rückzugsstraße über die Beresina abzuschneiden. Die beiden erfolgreichen Gefechte im August erlaubten den Sachsen eine 18 Tage währende Waffenruhe, die von den Soldaten genutzt wurde, um sich eigene Quartiere zu bauen, wie Ferdinand von Funck in seinen Erinnerungen berichtet : »Die Ernte war vorbei, es fehlte nicht an Stroh, und der Wald war nahe. Es wurden die Gassen nach der Schnur abgesteckt, bequeme und warme Hütten gebaut, vor der Front bedeckte Gewehrbaracken, hinter ihr Ställe für die Pferde. Die Offiziere bekamen nach ihrem Range größere Hütten, die Stabsoffiziere und Kommandanten kleine Strohhäuser. Geschickte Arbeiter wußten das Stroh kunstgemäß zu flechten und machten Türen und Fensterläden, die sich freilich nicht in Haspen drehten, sondern weggehoben werden mußten, aber doch ihren Zweck gut erfüllten. Da die Jahreszeit rauh zu werden anfing, wurden auch Kamine von Erde und Lehm in den Hütten angelegt. Gräben wurden gezogen, um das Wasser abzuführen, und Alleen von großen Bäumen gepflanzt. Jedes Bataillon hatte eine andere Baumart gewählt, und so entstanden Alleen von Birken, Tannen, Ebereschen usw., unter denen besonders die letzteren sich mit ihren roten Beeren gut ausnahmen. Aber der Luxus ging noch weiter. Man legte nun auch einen Park an; Spazierwege, die sich künstlich schlängelten, auf eine malerische Aussicht oder auf Ruhebänke ausgingen, kleine Brücken mit hohem Bogen und zierlichem Geländer mit Gatterwerk, wozu das weiße Holz der Birkenangewendet wurde. Zuletzt baute man auch noch einen Saal zur Ressource, eine weite, geräumige Hütte, in welcher 60 Personen sitzen konnten, mit Schach- und Spieltischen und zwei Kaminen. Der Witz der Soldaten zeigte sich in den Namen der Straßen, die sie angeschlagen hatten, und der aushängenden Handwerksschilder. Da gab es Damenschneider, marchands de modes, eine Konsistorialstraße, pp. Ich munterte die Leute zu diesen Beschäftigungen auf, die sie munter und gesund erhielten und vom Spiel und allen üblen Folgen des Müßiggangs ablenkten. Es wurden dabei auch militärische Übungen nicht versäumt, und der Rest unseres glänzenden Biwaks zog nicht nur von der 1. Division und der Avantgarde eine Menge Offiziere her, die es bewunderten, sondern auch die wenigen in der Nachbarschaft gebliebenen Vornehmen und
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