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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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erstaunt, wie vortrefflich sich die Offiziere Tschitschagows versorgt hatten. Während meiner vielen Feldzüge war mir eine derartig luxuriöse Verproviantierung noch nicht vorgekommen. In Überfülle fanden sich: Schinken, Pasteten, Würste, geräucherte Fische, Wein von allen Sorten und in ungeheurer Menge Schiffszwieback, Reis, Käse etc. etc. Reichlich waren auch schöne Pelze und treffliche Stiefel vertreten, welche nachher noch vielen das Leben retteten. Unter der Bespannung der Wagen erwies sich eine ganze Anzahl Pferde besser als ein Teil der unserigen. Ich wählte die brauchbarsten davon aus als Ersatz für diejenigen Leute, die um ein anderes baten; die Offiziere suchten sich welche zum Transport der reichlich gesammelten Lebensmittel aus.«
    Endlich konnten sich die Truppen Oudinots wieder satt essen, und darüber hinaus blieb noch einiges für die von Napoleon geführten Reste der Grande Armée übrig, auf deren verwahrlosten Anblick die Soldaten in Borisow nicht vorbereitet waren, am wenigsten das als Reserve herangeführte 9. Armeekorps unter Marschall Victor. »Wir, noch unversehrt und kräftig«, schreibt Feldwebel von Toenges vom dazugehörigen 2. Bergischen Infanterie-Regiment, »sahen jetzt auf einmal die fast ganz aufgelöste Armee. Von diesen Unfällen wußten wir noch nichts, denn man hatte sie sogar unseren Offizieren sorgfältig verschwiegen. Als wir daher statt jener großen Kolonne, die Moskau eroberte, hinter Napoleon nichts erblickten als einen langen Zug von Gespenstern, die mit Lumpen und Weiberpelzen, mit Stücken von Tapeten oder mit schmutzigen, vom Feuer versengten und zerrissenen Mänteln bedeckt und deren Füße mit Lumpen aller Art umwickelt waren, wurdenwir von höchstem Erstaunen ergriffen. Ja, mit Entsetzen sah ich diese Unglücklichen angezehrt, mit bleichen Gesichtern und struppigen Bärten, ohne Waffen und ordnungslos durcheinandermarschierend, mit gesenktem Haupte, die Augen starr auf die Erde gerichtet und in tiefem Schweigen, gleich einem Haufen Gefangener vorüberziehen. Am meisten fielen mir die einzelnen Generale und Obersten auf, die, nur mit sich selbst beschäftigt, bloß darauf achteten, ihre noch übrige Habe oder ihre Person in Sicherheit zu bringen. Die Soldaten, mit denen sie vermischt marschierten, achteten nicht auf sie. So wie sie ihnen nichts mehr zu befehlen hatten, konnten sie auch nichts mehr von ihnen erwarten, da durch die allgemeine Not jedes Band aufgelöst und jeder Unterschied des Ranges vernichtet war.«
    Auch Philippe de Ségur »sah hier nur noch den Schatten einer Armee, allein es war der Schatten der großen Armee, die es fühlte, daß nur die Natur ihre Besiegerin sei. Der Anblick ihres Kaisers gab ihr neue Zuversicht. Lange schon war sie gewöhnt, auf ihn zu zählen, nicht wenn es um ihren Lebensunterhalt, sondern wenn es um den Sieg sich handelte. War es doch sein erster unglücklicher Feldzug; und er konnte deren so viele glückliche aufzählen! Man mußte bloß die Kraft haben, ihm zu folgen. Er allein, meinten sie, der so hoch seine Soldaten zu erheben und so tief sie hinabzustürzen vermocht hatte – er allein werde sie auch retten können. So thronte er also noch in der Mitte seines Heeres wie die trostreiche Hoffnung in der Tiefe des menschlichen Herzens!« Um so wichtiger wurde es für sie, ihrem Feldherrn einmal nahe zu kommen. Am Abend des 25. November schreibt Leutnant Otto von Raven vom Kontingent der Mecklenburger in Borisow in sein Tagebuch: »Das Haus, worin Napoleon wohnte, war das erste rechts, wenn man von Moskau kommt, und lag mit seiner Front nach Südost, vor dem Hause war ein Hofplatz und jenseits desselben ein Mühlenteich, der rechte Giebel des Hauses mit einigen Fenstern lag an der Hauptstraße. Um einengünstigen Augenblick nicht etwa zu verfehlen, hielt ich mich auf dem Hofplatze auf. Bald bot sich mir auch die beste Gelegenheit dar, Napoleon zu sehen, indem er in die Haustüre trat. Er war ohne Kopfbedeckung, in grüner Uniform mit dem Orden der Ehrenlegion, weißen Beinkleidern und Stiefeln mit Sporen. Alle anwesenden ersten Befehlshaber, zum Teile wie Duroc die Biwakfeuer auf dem Hofplatze verlassend, näherten sich ihm nun, indem sie den Hut abnahmen, bedeckten aber, da der Kaiser durch ein ausdrucksvolles Ziehen mit seiner Hand dies zu erkennen gab, ihre Häupter wieder. Ich war dabei mit ihnen zugleich, und zwar bis auf zwei Schritt, an Napoleon hinangetreten. Mein Anzug bestand in einem zugeknöpften grauen

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