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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Mantelkragen, welcher fast so tief wie die Degenscheide hinabreichte, über Kopf wie Ohren hatte ich gegen die Kälte ein weißes Tuch gebunden, und mein Tschako war uniformsmäßig schwarz überzogen. Napoleon sprach, indem er zur Moskauer Straße hinsah, oft Schnupftabak nehmend und alsbald die Arme wieder vor sich übereinandergeschlagen – wobei der rechte oben war –, mit den vor ihm stehenden höheren Offizieren, als eben jetzt die sehr veränderte Kavallerie der Alten Garde einzog. Mit seinen durchdringenden Augen war ein sehr ruhiges Wesen verbunden, und etwas Farbe belebte seine Züge. Napoleon blieb, trotz der strengen Kälte, ohne Hut und schien manchen vorüberziehenden Soldaten der Grenadiers à cheval zu erkennen. Bis jetzt hatte in meinen lautlosen Betrachtungen niemand mich gestört, aber meine große Nähe, bei einer Bekleidung ohne jedes Erkennungszeichen, mußte endlich doch dem Prinzen Berthier, welcher schräg rechts dicht vor mir stand, aufgefallen sein, denn er wandte sich zu mir mit einem ›qui êtes vous?‹ (Wer sind Sie?). › L’officier de garde aux prisonniers‹ (Offizier zur Bewachung der Gefangenen), ›Monseigneur‹ war meine Antwort und sein › ah, c’est bon‹ (ah, das ist gut) hieß mich noch gerade nicht gehen, daher ich auch so lange hier anwesend blieb, bis der Kaiser hineingegangen war, wo es bereitszu dämmern anfing. Die Marschälle begaben sich sodann wieder zu den brennenden Balken, und ich wandte mich nach der Moskauer Straße, wo nun die sogar jetzt noch schöne Infanterie der Kaisergarde einzog.«
    Doch wo sollte die verbliebene Armee Napoleons die Beresina überqueren und vor allem wie? Der Wiederaufbau der Brücke in Borisow war unmöglich. Der Fluß bildete dort eine sumpfige Niederung; man hätte 500 Meter überbrücken müssen und dazu noch unter den wachsamen Augen des Feindes auf dem jenseitigen Ufer. Doch an zwei Stellen hatte man Furten entdeckt: bei Weselowo (etwa 20 Kilometer nördlich von Borisow) und bei Studjanka (16 Kilometer nördlich). Napoleon hatte für Weselowo plädiert, doch Marschall Oudinot hielt Studjanka für die bessere Position.
    Tschitschagow, dessen Kommunikation mit den anderen russischen Korps abgerissen war, vermutete, Napoleon würde sich für einen Rückzug in Richtung Minsk entscheiden, worin ihn ein Brief Kutusows bestärkte. Also konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die Beresina südlich von Borisow. Darin bestärkte ihn die Nachricht von den Operationen Schwarzenbergs bei Slonim, mit dem sich Napoleon vereinigen würde, um den Rückzug auf Warschau fortzusetzen. Wo sich Napoleon selbst befand, wußte keiner der russischen Kommandeure. Um Tschitschagow zu täuschen, schickte Oudinot Truppen und eine Masse von Nachzüglern nach Ukolodi (12 Kilometer südlich von Borisow), wo sie viel Lärm und Geschäftigkeit vortäuschen mußten, als sollte hier der Übergang stattfinden. Tatsächlich aber hatten die Vorbereitungen zum Brückenbau bei Studjanka schon begonnen.
    Über die Stimmung in der Grande Armée schreibt der westphälische Hauptmann Johann von Borcke: »Die Kälte hatte bedeutend nachgelassen; als wir in Borisow anlangten, war schon seit einigen Tagen Tauwetter eingetreten. So hatten wir zwar einen Feind weniger zu bekämpfen, aber es schwand damit die Hoffnung, daß das Eis der etwa zugefrorenen Beresinanoch zum Übergange haltbar sein könnte. Der Fluß sollte, wie gesagt wurde, überhaupt schwer zufrieren und gerade in der Gegend von Borisow seeartig breit und mit Treibeis bedeckt sein. Wir bekamen den Fluß vorläufig nicht zu Gesicht, weil Borisow am linken Ufer desselben liegt und wir in einiger Entfernung von der Stadt haltmachten. Von den Russen sahen und hörten wir nichts, dagegen schien es, als ob in der Nähe des vorläufig noch unbekannten Übergangspunktes einige Ordnung in das Chaos der Armee gebracht werden sollte. Niemand durfte in die Stadt, es wurde befohlen, daß sich alle bewaffneten Leute bei ihren Fahnen sammeln und die unbewaffneten nach einem bestimmten Punkte rechts der Stadt begeben sollen. Alle Kavallerieoffiziere, die noch Pferde besaßen, hatten sich um den Kaiser zu sammeln, um ihn als eine Garde, die er die ›heilige Schar‹ nannte, zur Bedeckung zu dienen. Als Abzeichen mußte diese Schar, bei der Divisionsgenerale als Rittmeister, Obersten und Stabsoffiziere als Leutnants eintraten, eine weiße Binde um den Arm umlegen. Die mit Karabinern oder Gewehren versehenen unberittenen

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