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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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selbst die stumpfen Bauern der Gegend, die Lebensmittel zum Verkauf brachten.«
    Von solcher Idylle war im November, als sich die beiden Korps über den Bug in guter Ordnung auf Brest-Litowsk zurückgezogen hatten, nichts mehr geblieben. Das lag daran, daß jetzt beim 7. Korps eine Reserve eintraf, die aus dem 11. Armeekorps stammte: die 32. Infanterie-Division unter ihrem General Pierre-François Durutte. Ferdinand von Funck bezeichnet sie als »Auswurf der französischen Armee«, und wer immer dieser Division 1812 oder 1813 begegnete, hat sie nie anders genannt. Der Name ihres Kommandeurs wurde in der französischen Armee stets als »de route« (etwa: außer Rand und Band) wiedergegeben. In dieser Division befanden sich junge, gänzlich unerfahrene Eingezogene, vor allem aber Kriminelle, die sich hier »bewähren« sollten. Dazu Soldaten aus der 1809 von Österreich abgetretenen Provinz Illyrien (Bosnier und Serben), angereichert mit den zum Dienst in der Grande Armée gepreßten spanischen Kriegsgefangenen. »Der Krieg war ihnen nur eine Gelegenheit zum Plündern, sie raubten öffentlich unter den Augen der Offiziere, und besonders begingen die Spanier die scheußlichsten Ausschreitungengegen Frauenzimmer vom Stande. Auf dem Marsche streiften sie vor unseren Augen zu 50 und 100 ab, um in den nahe gelegenen Dörfern zu plündern, und gewöhnlich entstand hinterher Feuer, weil sie die Bienenstöcke anzündeten, um den Honig zu bekommen, nach dem sie besonders lüstern waren. Ich schickte gewöhnlich Kommandos nach, die sie mit Kolbenstößen hinaustrieben, aber man konnte doch nicht alle Häuser, höchstens die Edelhöfe retten, und auch dieses Mittel blieb fruchtlos, weil sie zu Hunderten zurückblieben und an den folgenden Tagen, wenn meine Salvegarden ( Schutzwachen ) abgegangen waren, ihre Räubereien ausübten. Die Kosaken nahmen gleich in den ersten Tagen gegen tausend solcher Nachzügler gefangen, aber die Spanier achteten dieses nicht, weil sie auf der Stelle bei den Russen in Dienste gingen.«
    Die meisten Todesopfer hätten sie durch ihre Exzesse gehabt, meint Funck. Militärisch war diese Räuberbande wertlos. In den vom 14. bis 16. November stattfindenden Kämpfen bei Wolkowisk, in denen Fürst Schwarzenberg mit Sachsen und Österreichern noch einmal über die Russen siegte, nahm auch die Division Durutte teil; von ihren 450 Gefallenen waren die meisten die jungen Rekruten. Insofern war für Major von Funck ein 2500 Soldaten zählendes Bataillon Würzburger Infanterie, »das aus braven und ordentlichen Leuten bestand«, eine willkommene Reserve. Der allgemeine Mangel ließ im November auch bei den Sachsen die Disziplin einreißen.
    »Das Wetter war abscheulich, stets abwechselnd Fröste, Schnee und Regen. In den Wegen konnte man kaum mehr fortkommen, und die Leute hatten keine Schuhe«, sorgte sich von Funck und griff zu drakonischen Maßnahmen. »Obgleich wir nun wieder die Dörfer für die Bataillone einteilten und von jedem Bataillon einen Offizier und 50–60 Mann zum Fouragieren schickten, so war es doch nicht möglich, in jedes Haus mit hineinzugehen, und die Einwohner waren zu einerfreiwilligen Lieferung nicht zu bewegen. Alles mußte mit Gewalt genommen werden, Lebensmittel, Geschirr zum Kochen, denn unsere Kessel waren längst verloren oder unbrauchbar, Pferdefutter, Holz, Stroh oder Garben. Aber dabei blieb es nicht, die nackten, in der feuchten Kälte allem Ungemach ausgesetzten Soldaten griffen nach Kleidungsstücken, und bald erschienen auf dem Marsche die abenteuerlichsten Gestalten. Priesterröcke, Weiberkleider, große wollene Decken, mit einem Strick oder Riemen um den Leib gegürtet, Felle, Fracks, Schlafröcke, Bürgerkleider, alles untereinander. Reynier sah es, aber er sagte nichts, die Schuld lag an dem Intendanten, der die Montierungen und Schuhe lieber hatte verlieren als ausgeben wollen. Die Soldaten mußten umkommen, wenn sie sich nicht selbst versorgten. Die Offiziere schafften sich russische Schafpelze an, das Leder auswendig, ohne Überzug. Niemand konnte etwas gemacht bekommen, weil wir bei keiner Stadt verweilten und unsere eigenen Handwerker bei Nacht im Biwak nicht arbeiten konnten, auch weder Nadel noch Zwirn mehr hatten. Wir sahen einer Zigeunerbande ähnlicher als Soldaten, die Franzosen allein waren gut gekleidet, weil sie in Berlin neue Uniformen erhalten hatten.
    Am ärgsten mißbrauchten der Troß und die Weiber, die der Armee gefolgt waren, die eingerissene

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