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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Kavalleristen sollten in Bataillone formiert, alle unnützen Wagen verbrannt, die Pferde, selbst die des Kaisers nicht ausgenommen, an die Artillerie abgegeben werden. Die Artillerieoffiziere waren angewiesen, Pferde zu nehmen, wo immer sie dieselben fänden. Diese Befehle klangen kräftig und herrlich, und wenn zu ihrer Ausführung auch keine Zeit übrigblieb, so hoben sie doch den Mut, sosehr bei diesen versuchten äußersten Anstrengungen die Verzweiflung erkennbar war. Auch bei mir kehrte, sosehr ich mich in mein Schicksal ergeben hatte, Hoffnung und eine Art von Vertrauen zu dem Geiste Napoleons wieder; ich glaubte fest, daß er noch einmal das unmöglich Scheinende möglich machen und uns, wenn auch nicht ohne große Opfer, retten würde. Warum sollte ich nicht einer der Glücklichen sein? Der Himmel hatte mich so lange wunderbar erhalten; ich war gesund und ziemlich im Besitz meiner Kräfte, hatte keine erfrorenen Glieder,denn ein kleiner Frostschaden im Gesicht war nicht der Rede wert, ich war erträglich genährt und hatte durch stete Bewegung meinen Körper gewandt gehalten und vor dem Erfrieren bewahrt. Ich besaß noch zwei Pferde, setzte mich aber nur auf, wenn es die größte Ermattung gebot, und auch dann nur so lange, als es gerade zur Erholung nötig war und bis ich die Wirkung der Kälte auf den Körper, insbesondere auf die Füße spürte; dann war ich schnell wieder auf dem Boden. Viele verloren ihr Leben, weil sie wähnten, zur Schonung der Kräfte reiten zu müssen; sie hingen beständig auf dem Pferde, solange sie noch gesund waren, und ließen sich nicht zum Gehen bewegen; bald hatten sie erfrorene Füße und vermochten, als die Kälte mehr und mehr zunahm, nicht zu marschieren, so gern sie es jetzt getan hätten. – In Warschau hatte ich einen kleinen polnischen Jungen zu meiner Bedienung angenommen. Derselbe leistete mir ganz vortreffliche Dienste. Zwar stahl er wie ein Rabe, doch gerade dies Laster kam mir zustatten, indem er unermüdlich für meine Ernährung sorgte, nahm und anschaffte, wo durch List und Kunstgriffe nur irgend etwas zu haben war. Eine alte blecherne Kaffeekanne und einen Schafpelz, der im Biwak zu meiner Bekleidung diente, trug er und hütete diese Dinge wie Heiligtümer. Im Biwak angekommen, hatte er das erste Feuer, in wenigen Minuten versah er mich mit Kaffee, solange ich noch solchen hatte (später diente Roggen als Ersatz), oder er erwärmte mich mit einer Mehlsuppe, oft nur mit einer Art Kleister von Roggen- oder Buchweizenmehl; einige Pferdezungen besaß er in seinem Quersack stets in Vorrat. Ich verlor diesen meinen Mitretter auf eine klägliche Art zwischen Wilna und dem Njemen, als hier die wiederkehrende Kälte den höchsten Grad erreichte. Er blieb mit erfrorenen, schon brandigen Füßen in einem Dorfe liegen, und wenn mir alle Schätze der Welt zu Gebote gestanden hätten, ich hätte den armen Jungen nicht retten können.«
    Noch in Orscha hatte Napoleon befohlen, den riesigen Troß,der die Armee begleitete, drastisch zu reduzieren. Die Wagen mit dem aus Moskau mitgeschleppten Plünderungsgut wurden verbrannt, die Zugpferde der Artillerie überstellt, um die Kanonen transportieren zu können. Der Kaiser hatte sich persönlich für zwei Stunden an die Brücke über den Dnjepr gestellt und selber die Wagen kontrolliert, die einen durchgewinkt, die anderen sofort in seiner Gegenwart verbrennen lassen. Trotz heftigen Protests des Chefs der Pioniere, General Jean-Baptiste Eblé, hatte Napoleon auch die Wagen mit den Pontons zur Verbrennung bestimmt, dazu die Wagen mit der Pionier-Ausrüstung, wodurch mehrere hundert Pferde für die Artillerie frei wurden. Denn der einzige noch zu querende Fluß würde die Beresina sein, und Napoleon hielt es für selbstverständlich, daß seine in Borisow stationierten Truppen diesen wichtigen Übergang niemals in die Hände der Russen fallen lassen würden. Doch der listige Eblé verstand seinen Chef zu täuschen: Er rettete heimlich zwei Feldschmieden, zwei Wagen mit Holzkohle und versteckte in sechs Artillerie-Transportwagen Werkzeuge bis hin zu Nägeln, Schrauben und Klammern. Jedem Pionier wurde befohlen, solches Kleinmaterial am Körper zu tragen.
    Diese Umgehung des kaiserlichen Befehls zahlte sich jetzt aus, als man in Studjanka mit dem Brückenbau begann. Hätte man die Pontons noch gehabt, dann hätte man mit 60 von ihnen leicht in zwei bis drei Stunden Übergänge schaffen können. So aber mußten riesige Auflageböcke

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