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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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gezimmert werden, für die man das Holz aus den zerstörten Dörfern der näheren Umgebung verwendete, ja sogar noch Bäume fällen mußte. Das einsetzende Tauwetter hatte den Wasserstand des Flusses erhöht, der jetzt mit Treibeis bedeckt war. Die Breite der Beresina an dieser Stelle betrug etwa 80 bis 100 Meter, es mußte aber auch ein Stück des sumpfigen Ufergeländes überbrückt werden. Am 25. November zwischen 16 und 17 Uhr begannen die Arbeiten, die man schon in der Nacht vorbereitet hatte. Zum Glück konnte man weitgehend in einer Schlucht tätig sein, die den Blicken russischer Patrouillen verborgen war. Ein Kosakenlager in der Nähe wurde von französischer Kavallerie überfallen und dabei reiche Beute gemacht: zehn Pferde, über 200 Säcke Mehl und riesige Bestände an Alkohol.
    François Pils: Brückenbau bei Studjanka. – Der französische Grenadier Pils zeichnete an der Beresina die Vorbereitung für den Brückenschlag. Während Napoleon mit Marschall Oudinot die einzuleitenden Maßnahmen erörtert, bringen Pioniere Teile der Bockbrücke zum Ufer, um die Aufgeböcke in den schlammigen Untergrund des eisigen Flusses zu senken.
    Gebaut wurden zwei Brücken im Abstand von etwa 250 Metern; für eine geplante dritte reichte das Material nicht. »Napoleon begab sich nun nach dem Ufer und zu den Brücken«, schreibt Hauptmann von Borcke. »Er ermunterte die Pioniere, von denen schon mehrere beim Einsenken der Böcke in das mit Eisschollen treibende Wasser den Tod gefunden hatten, zur Arbeit und legte selbst mit Hand an, wenn das auch nur zum Scheine und zur Weihe des großen Zwecks geschah. Seine Umgebung folgte diesem Beispiel, welches die Pioniere begeisterte, so daß die Arbeiten mit übermenschlicher Anstrengung und freudiger Hingabe des Lebens fortgesetztwurden. Was kann der Mensch leisten! Welche Wunder können wenige Worte, eine unbedeutende Handlung eines großen Mannes in solchem Augenblicke hervorbringen! Welche Zauberkraft besitzt die Ehre! Nur diese konnte es sein, welche die heldenmütigen Pioniere, die bis zum Halse im Wasser standen, leitete und ihnen zur Ausdauer Kraft gab. Sie sahen den Tod vor Augen, ihre Kameraden gingen unter, ihre Körper wurden von den Eisschollen zerschnitten, aber sie arbeiteten weiter und mit um so größerer Anstrengung.«
    Etwa 400 Pioniere waren hier eingesetzt, darunter etwa 200 Holländer und eine nicht näher bekannte Zahl von Polen. Nicht nur die lebensbedrohende Unterkühlung und das Treibeis bedrohten sie; sie mußten für jede Brücke 23 mächtige Holzböcke im schlammigen Grund des Flusses befestigen, die immer wieder abzurutschen drohten, und manchem ging das Wasser bis zum Mund. Die halberstarrten Männer wurden immer wieder in kurzen Zeitabständen abgelöst, abgetrocknet und in Pelzmäntel gehüllt; man gab ihnen zur Aufwärmung einen mit Branntwein gemischten Glühwein zu trinken und versuchte sie bis zur nächsten Ablösung an den Biwakfeuern aufzuwärmen. Zu allem Unglück gingen jetzt auch noch die Temperaturen zurück, und es begann zu schneien. Wie viele dieser Männer überlebt haben, ist nicht genau bekannt: von den etwa 200 Holländern überleben nur 8; von den französischen Pionieren sollen 12 Frankreich wiedergesehen haben, wie viele der Polen heimkehrten, weiß man nicht.
    Die Freude, von den Russen nicht entdeckt worden zu sein, währte nur kurz. Während die Pioniere die ganze Nacht vom 25. auf den 26. November an den Brücken arbeiteten, geschah dies »bei dem Schein der feindlichen Wachfeuer, welche von der Anhöhe des entgegengesetzten Ufers aufloderten«, wie Ségur sagt. Eine Einheit von der Armee Tschitschagows hatte sich dort mit Artillerie postiert; mit dem Beschuß war schon im Morgengrauen zu rechnen. Ein Angriff auf diese Stellungschien nur schwer möglich, weil das gegenüberliegende Ufer viel zu morastig war. Was würde geschehen? Philippe de Ségur notiert: »Jetzt erblichen und verschwanden die russischen Wachfeuer am Lichte des angebrochenen Tages. Unsere Truppen griffen zu den Waffen, die Artilleristen stellten sich an ihre Kanonen, die Generale beobachteten aufmerksam jede Bewegung, und alle hefteten die erwartungsvollen Blicke auf das jenseitige Ufer, in jenes bedeutungsvolle Schweigen versunken, welches der Vorläufer großer Gefahren zu sein pflegt. – Schon seit dem Beginn des verwichenen Abends mußte jeder Hammerschlag unserer Pontonniers, in diesen waldigen Höhen wiederhallend, die gespannte Aufmerksamkeit des

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