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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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mit dem Säbel in der Faust einen blutigen Durchgang; andere bahnten ihren Fuhrwerken einen noch weit gräßlichern Weg, denn sie fuhren schonungslos mitten durch die Masse dieser Unglücklichen, deren Glieder die fortrollenden Räder zerquetschten, und opferten so, in ihrer empörenden Habsucht, der Rettung ihrer Habseligkeiten das Leben ihrer Unglücksgefährten. Wieder andere unterlagen weinend und wehklagend einer erniedrigenden Todesfurcht, welche den Rest ihrer Kräfte erschöpfte. Dann sah man auch welche, und darunter waren besonders die Kranken und Verwundeten, die, lebenssatt beiseite schleichend, sich mit stiller Ergebung niedersetzten und die stieren Blicke auf die Schneefläche hefteten, welche bald ihr kaltes Grab werden sollte.
    Viele, die mit ungeheurer Anstrengung durch diese Masse Verzweifelnder ganz vorangedrungen waren, hatten die Brücke verfehlt und bemühten sich nun, an den Seiten derselben hinaufzuklettern, wurden aber oben größtenteils gewaltsam zurückgestoßen und in des Flusses Tiefe gestürzt. Da erblickte man zwischen den mächtigen Eisschollen verzweifelnde Mütter mit ihren Kindern auf den Armen, die sie schnell in die Höhe hoben, sowie sie selbst zu sinken begannen; und sogar als das Wasser sie schon verschlungen hatte, hielten sie noch die Kleinen mit den erstarrten Armen so hoch als möglich über ihren Häuptern empor. Mitten unter diesem schauderhaften Gewirre stürzte die für die Artillerie bestimmte Brücke ein. Umsonst bemühte sich die auf diesem schmalen Übergang befindliche Kolonne, eiligst rückwärts zu schreiten. Der Schwarm von Menschen, der ihnen folgte, ahnte keineswegs ein solches Unglück und trieb daher, das Notgeschrei der ersten nicht achtend, diese mit solcher Heftigkeit vorwärts, daß in wenigen Augenblicken die Drängenden wie die Gedrängten in die brausenden Fluten stürzten.
    Jetzt strömte alles der andern Brücke zu. Von allen Seiten eilten große Pulverwagen, schwere Fuhrwerke und Kanonenherbei, die, durch das hastige Treiben ihrer Lenker rasch davongeführt, auf einem steilen, holperigen Abhange und mitten durch das Gewirr von Menschen, diese Unglücklichen zermalmten, die plötzlich rettungslos zwischen und unter ihnen sich eingezwängt befanden. Dann stießen die meisten Wagen aneinander, wurden gewaltsam dadurch umgeworfen und erschlugen die Umstehenden in ihrem Sturze. Nun verwickelten sich ganze Reihen außer sich geratener Menschen in diese Hemmnisse, fielen zur Erde und wurden von schweren Massen anderer Unglücklichen erdrückt, die hinter ihnen unaufhaltsam herbeiströmten. So wälzten sich wogend diese Armseligen übereinander, und man vernahm bald nichts mehr als das durchdringende Geschrei der Wut und die Jammertöne des Schmerzes. In diesem entsetzenerregenden Gewirre wehrten sich mit der Kraft der Verzweiflung die zu Boden Geworfenen und Erstickenden unter den Füßen ihrer Gefährten, an die sie krampfhaft mit den Zähnen und Nägeln sich anklammerten; diese aber stießen sie, gleich Feinden, erbarmungslos zurück. Darunter befanden sich viele Frauen und Mütter, die, mit herzzerreißender Stimme nach ihren Gatten und Kindern rufend, von denen ein einziger Augenblick auf immer sie getrennt hatte, die flehenden Hände gegen die Weiterdrängenden erhoben und sie beschwuren, ihnen Platz zu machen, damit sie ihren Lieben sich nähern könnten; allein, durch die wildwogende Menge bald dahin, bald dorthin geschleudert, unterlagen sie in kurzem ihrem grausamen Schicksale, von niemandem bemerkt und beachtet! Wie konnte auch diese verworrene Masse die Klagen der Schlachtopfer vernehmen, welche sie zermalmte, da das Brausen des entfesselten Windes, der Donner des Geschützes, das Zischen der Kugeln, das Zerplatzen der Haubitzen, das Ächzen der Verwundeten, die Ausrufungen der Forteilenden und die entsetzlichen Flüche der Verzweifelnden ein nicht zu beschreibendes Getöse verursachten.
    Die Glücklichsten erreichten die Brücke; doch nur indemsie über ganze Hügel von niedergeworfenen, halberstickten Verwundeten, Frauen und Kindern stiegen und diese bei der Anstrengung des Weiterschreitens noch auf das grausamste mit den Füßen zertraten. Als sie dann endlich an dem schmalen Passe angelangt waren, hielten sie sich für gerettet; allein mit jedem Augenblicke brachte ein zusammenstürzendes Pferd, ein zerbrochenes oder auch nur verschobenes Brett den ganzen Zug wieder ins Stocken.
    Am Ausgange der Brücke, auf dem jenseitigen Ufer, befand

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