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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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die ständige Präsenz des Kaisers gab der Armee noch immer ein Gefühl der Sicherheit. Aber es war ein schwerer Schlag, als die Meldung einging, die von Borisow nach Studjanka marschierende Division des Generals Louis Partouneaux sei bis auf eine Brigade den Russen in die Hände gefallen. Die aus Franzosen und Holländern bestehende Division hatte nachts den Weg verfehlt und war geradewegs in das Korps Wittgensteins geraten, das man in der Dunkelheit für eine französische Einheit gehalten hatte. Als der Irrtum erkannt war, blieb Partouneaux nur noch die Kapitulation.
    Nachdem die erste Brücke freigegeben worden war, setzten sofort polnische Truppen und zwei französische Kavallerie-Regimenter über, gefolgt von der Infanterie aus Oudinots Korps. Nachdem dann die zweite Brücke für die Artillerie befahrbar wurde, rollten auch die schweren Geschütze aufs andere Ufer. Allerdings brach um 20 Uhr auch diese Brücke ein, und es dauerte drei Stunden, bis sie um 23 Uhr wieder freigegebenwerden konnte. Am 27. November folgten die 6400 Soldaten der französischen Garde. Einen Tag später griff Tschitschagow auf dem westlichen Ufer mit 27 000 Soldaten diesen Brückenkopf an, den 8000 Soldaten unter dem Kommando von Marschalls Ney hielten, und erlitt trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit eine empfindliche Niederlage. Wegen des sumpfigen Bodens konnten die Russen keine Artillerie einsetzen und kaum Kavallerie; Neys Einheit griff, nachdem die Munition knapp geworden war, mit dem Bajonett an, wobei sich vor allem die vier Schweizer Regimenter des 2. Armeekorps durch große Tapferkeit auszeichneten; von den ursprünglich 6000 Soldaten, die sich auch in der Schlacht von Polozk ausgezeichnet hatten, waren nur noch etwa 1500 übriggeblieben. Thomas Legler, Oberleutnant der Grenadiere im 1. Schweizer Regiment, erinnert sich einer Episode vor Beginn der Kämpfe: »Am 28. November morgens fiel etwas Schnee. Es war etwa halb acht Uhr, als ich auf der Straße an der Seite des Kommandanten Blattmann auf und ab spazierte. Dieser erinnerte mich an das Lied Unser Leben gleicht der Reise, das ich früher viel gesungen hatte und mein Lieblingslied war und das auch Blattmann gefiel, mit der Bitte, ich möchte es ihm doch noch einmal singen. Ich begann sogleich, und am Ende bemerkte ich einen langen Seufzer: ›Ja, Legler, es ist wirklich so, es sind doch herrliche Worte.‹ Bald gesellten sich noch andere Offiziere zu uns, und diese Morgenstunde verstrich uns unter Gesang und Gesprächen.« Hauptmann Blattmann wurde nur wenige Stunden später durch einen Kopfschuß getötet. Das von Legler gesungene Lied des deutschen Lyrikers Ludwig Gieseke heißt seither in der Schweiz Beresinalied und hat seine Popularität bis heute bewahrt:
    Unser Leben gleicht der Reise
    Eines Wandrers in der Nacht; –
    Jeder hat auf seinem G’leise
    Vieles, das ihm Kummer macht.
    Aber unerwartet schwindet
    Vor uns Nacht und Dunkelheit,
    Und der Schwergedrückte findet
    Linderungen für sein Leid.
    Mutig, mutig! Liebe Brüder,
    Gebt das bange Sorgen auf; –
    Morgen steigt die Sonn’ schon wieder
    Freundlich an dem Himmel auf.
    Darum laßt uns weiters gehen,
    Weichet nicht verzagt zurück; –
    Hinter jenen fernen Höhen
    Wartet unser noch ein Glück.
    Auf dem östlichen Ufer wehrte Marschall Victor mit nur noch 6000 Soldaten den Angriff der etwa 24 000 Mann zählenden Armee Wittgensteins erfolgreich ab. Victors Truppen bestanden zumeist aus Badenern, Polen und Franzosen. Das badische Kontingent hatte wenige Tage vorher in der Nähe von Borisow eine höchstwillkommene Lebensmittellieferung aus Karlsruhe bekommen: 41 Wagen. Der Inhalt wurde an das schon sehr reduzierte Kontingent verteilt, danach ließ Kommandeur Wilhelm von Hochberg alle Wagen verbrennen und die Zugpferde an die Artillerie übergeben.
    Obwohl an beiden Ufern die Angriffe der Russen zurückgeschlagen worden waren, breitete sich nun in der Masse der 40 000 bis 50 000 Nachzügler Panik aus, da schon erste Geschosse unter ihnen eingeschlagen waren. Alles strömte jetzt auf die zu den Brücken führenden Rampen. Philippe de Ségur schildert das ausbrechende Chaos: »Da zeigte sich, wie bei allen außerordentlichen Vorfällen im irdischen Leben, das menschliche Herz in seiner gänzlichen Nacktheit, und wir wurden Zeugen der erhabensten wie der verabscheuungswürdigsten Handlungen. Je nach der Verschiedenheit der Charaktereöffneten sich nun die einen, ihre Entschlossenheit bis zur Wut steigernd,

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