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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Auflösung befindende Armee überhaupt nicht informiert worden, sie waren ja auch vollauf damit beschäftigt, den in Wilna anwesenden Diplomaten rauschende Feste zu geben. Napoleons frischernannter Stellvertreter Joachim Murat war von seiner neuen Aufgabe überfordert, die anderen Generale und Marschälle zeigten sich – Marschall Ney ausgenommen – hilflos.
    Obendrein erschwerte Glatteis auf den Straßen das Fortkommen. Leutnant von Martens, der dabei gestürzt war und sich die Knie aufgeschlagen hatte, schildert das Chaos vor dem östlichen Stadttor Wilnas im Tagebuch: »Als wir uns der Stadt näherten, nahm die Verwirrung und das Gedränge furchtbar zu, man konnte sich glücklich schätzen, daß sich der Feind noch nicht in unserer Nähe befand; in einiger Beziehung hätte man glauben können, sich wieder an die Ufer der Beresina versetzt zu sehen, indem der Zudrang zum östlichen Stadttore ebenso arg wie damals zu den Brücken war. Auch hier fand ich es ratsamer, dem Gedränge zu entgehen und einen günstigen Augenblick abzuwarten, um zum Tore hineinzugelangen. (…) Um nicht von den letzten zu sein, benützte ich endlich dieLücke, welche einige Geschütze in der Menschenmasse verursachten, und zwischen denselben fortlaufend, gelangte ich zum engen Tore hinein, sah aber dabei mit Entsetzen, wie ein Offizier von einer Kanonenachse erfaßt und unter dem Bogen so erdrückt wurde, daß ihm das Gedärme aus dem Leibe hing. Da wurde getreten, gedrückt, gestoßen und geschoben, wobei viele entkräftet zu Boden sanken.« Wie schon in Smolensk so schlug sich der Leutnant auch hier zum württembergischen Spital durch, wo er eine Unterkunft fand und ärztlich versorgt wurde, denn außer den aufgeschlagenen Knien mußte er auch seine Erfrierungen – Nasenspitze und einige Zehen – behandeln lassen.
    Hauptmann von Brandt umging das Gewühl am östlichen Stadttor und brauchte nur eine halbe Stunde, um durch einen anderen, gänzlich unbenutzten Zugang in die Stadt zu gelangen, deren Straßen von Soldaten, Wagen und Einwohnern verstopft waren. Er fand eine Bleibe in einem Privathaus, wo ihn ein jüdischer Arzt versorgte, der ihn für seine durch die Krücken entzündeten Achseln eine Wundsalbe verschrieb, die ihm »treffliche Dienste tat«. Frisch gewaschen und verbunden, dazu mit einem neuen Hemd versehen, versank er »in einen totenähnlichen Schlaf, der aber von den wunderbarsten Träumen unterbrochen war«. Am anderen Morgen, »leidlich wieder gekräftigt, besonders aber durch einige Tassen Warmbier gestärkt (denn Kaffee gab es nicht)«, konnte von Brandt an einer Lagebesprechung bei seinem Obersten teilnehmen. Andere suchten in der Stadt nach Versprengten, und da zeigte sich, daß von der ganzen Weichsel-Legion nur noch 60 Soldaten und eine Handvoll Offiziere übriggeblieben waren. Da die Legion ein eigenes Magazin besaß und Generalstabschef Berthier 30 000 Francs an rückständiger Löhnung auszahlte, war es nun auch möglich, einkaufen zu gehen; Schuhe, Mäntel, Mützen, Hemden und Wollstrümpfe gab es aus den eigenen Beständen.
    Auch das auf wenige hundert Soldaten zusammengeschrumpfte Kontingent Badener fand sich versorgt. Aus der Heimat war gerade ein Transport mit Zwieback, Schuhen und Kleidung und – nicht zu vergessen – badischem Wein eingetroffen. Generalmajor Wilhelm von Hochberg, Kommandeur der badischen Truppen, konnte seine zerfetzte Uniform gegen eine nagelneue Generalsuniform auswechseln.
    Christian Wilhelm von Faber du Faur: Lichtensteins Kaffeehaus in Wilna, den 7. Dezember 1812. – In diesem Kaffeehaus gab es noch alles, auch Lebensmittel zu weit überhöhten Preisen wurden angeboten. Doch Ruhe gab es für die Erschöpften nicht, denn schon zwei Tage später besetzten die Kosaken die Stadt.
    Der bayerische Korporal Friedrich Mändler war nicht so glücklich. Auf Anweisung seines Oberleutnants sollte er Verpflegung für die nur noch 300 bayerischen Soldaten besorgen, aber die Verpflegungs-Kommissare hatten sich bereits davongemacht, die Magazine blieben verschlossen (und fielen komplett den Russen in die Hände), und die Bayern mußten hungern. Die Soldaten waren schon zu schwach, um wie in Smolensk die Magazine zu stürmen und zu plündern. Immerhin wurde Mändler von einem Kameraden ein »köstlicher Wein« angeboten – in Ermangelung von Gläsern und Bechernbekam er ihn in einem Nachttopf kredenzt. »Mein einziger Labetrunk auf unserem ganzen Rückzuge!«
    Mehr Glück hatte Leutnant von

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