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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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dankte Gott, als endlich meine Füße so geheilt waren, daß ich wieder ein wenig herumgehen konnte. Auch mir wollten die Ärzte anfangs die Füße und einen Finger abnehmen, was ich aber nicht zugab und lieber sterben wollte, als ein oder das andere meiner Glieder verstümmeln zu lassen. (…)
    Der Tod hatte schon eine große Anzahl von uns weggerafft, und keine Medizin konnte ihm Grenzen setzen, weil nicht nurder Körper, sondern auch die Seelen krank waren, denn die Kranken phantasierten beständig von ihren Anverwandten, Freunden und vom Vaterland. So lag nicht weit von mir der allgemein beliebte Feldprediger Greber, der in einem fort predigte. Ein anderer neben mir, Oberleutnant von Bülow, war meistens auf Reisen – sprach bald mit dem Postillon, dem Gastwirt und seinen Reisegefährten etc. Manchmal ergötzten solche Dinge, doch meistens waren sie von ernsterer Art, daß sie erschütterten und tief drangen, zumal wenn man sah, wie sich die Kranken auf dem harten Lager herumwälzten, bis der Tod erfolgte und einer um den andern zur Türe hinausgeschleift wurde.
    Bei Nacht sterben in der Regel die meisten Menschen; so war es auch hier. Die Leichen wurden zwar sogleich aus den Zimmern geschafft, aber nicht gleich in die schon früher erwähnte Totenkammer; man legte sie auf einen Haufen in dem Gang, wo sie sogleich wie Stein froren, an ein Wiedererwachen war also nicht zu denken. Des Morgens ließ man sie die Stiegen hinabrutschen, oder man warf sie über die Altane in den Hofraum, was immer für uns ein durchdringendes, schauerliches Gefühl war, so daß wir im Zimmer an dem Hinabrumpeln oder -plumpsen zählen konnten, wieviel jede Nacht gestorben waren. Anfänglich hörten wir öfters 10–20 Rumpler, doch bald weniger, weil die Anzahl der im Spital Aufgenommenen sich schnell verminderte. (…)
    Die Juden, denen es nicht wohl ist, wenn sie nicht beständig etwas zu schachern haben, kauften alle die alten Kleider der am Nervenfieber in den Spitälern Gestorbenen, wo sie solche zum weitern Wucher reinigten etc. Dadurch wurden sie selbst angesteckt, ganze Familien, ja ganze Häuser starben aus, zum wohlverdienten Lohn für die Greueltaten, die sie an den Unglücklichen verübt hatten, was uns alle von Herzen freute.«
    Stendhal hatte das große Glück gehabt, nicht in den Strudel des Rückzugs hineingerissen zu werden. Er erreichte miteinem Kollegen Wilna noch vor der Armee und dem allgemeinen Chaos und schrieb, ehe er weiterreiste, an seine Schwester Pauline: »Während der langen Reise von Moskau hierher, die fünfzig Tage gedauert hat, habe ich sehr oft an Dich gedacht. Ich habe alles verloren und besitze nur die Kleider, die ich trage. Viel besser ist, daß ich schlank geworden bin. Ich habe viele körperliche Qualen erdulden müssen und keine geistigen Freuden gehabt; aber alles ist vergessen, und ich bin bereit, es im Dienste Seiner Majestät noch einmal zu tun.« Einen Tag später fuhr er weiter Richtung Königsberg.
    Die Reste von Napoleons Armee hatten am 10. Dezember ihren Rückzug angetreten. Nur noch 300 Bayern und 2 000 Soldaten der Reserve-Division Loison bildeten die Nachhut beim Abzug aus Wilna unter dem Kommando von Marschall Ney. Gleich hinter Wilna führte die Straße über die steile Anhöhe von Ponari, die so vereist war, daß alle Wagen und Geschütze liegenblieben und ein schier unentwirrbares Knäuel bildeten. Der polnische Oberleutnant Jozef Grabowski, einer von Napoleons Ordonnanzoffizieren, war Zeuge der Ereignisse: »Die Equipagen des Kaisers, vieler Marschälle und Generale, die Armee-Hauptkasse (20 Millionen Francs), Munitionswagen, Geschütze und Hunderte von Wagen und Karren aller Art hatten sich dort angesammelt. Die Kälte war furchtbar und trotz des Schnees die Glätte so groß, daß kein nicht scharf beschlagenes Pferd bergan gehen konnte; die meisten blieben stecken. Da erschienen die Kosaken und griffen an. – Einige hundert Soldaten, Überreste der Garde zu Fuß, begleiteten den Schatz, die kaiserlichen Equipagen und die mit den Erinnerungszeichen an die Anwesenheit der Armee in Moskau beladenen Wagen; z. B. mit dem großen vergoldeten Kreuz von dem Iwan-Dom, welches der Stadt Paris als Erinnerung an die errungenen Siege geschenkt werden sollte. Nun konnten diese Wagen trotz aller Versuche den Ponariberg nicht erklimmen, erstens weil alle Fahrzeuge in der allergrößten Unordnung dahinzogen, jeder der erste sein wollte,um sein Eigentum zu retten, zweitens weil die Franzosen

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