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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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in ihrem Starrsinn und ihrer Selbstüberhebung keinen guten Rat annehmen wollten und sich nicht entschließen konnten, ihre Pferde scharf zu beschlagen. Dazu kam, daß ihre Hufeisen zu flach waren und ohne Stollen. Einzelne Pferde gingen barfuß, was allerdings noch besser war als die französische Beschlagmethode. Man hat dem Kaiser und den Marschällen oft genug den Übelstand vorgehalten und geraten, scharf beschlagen zu lassen, aber alles umsonst. Und doch hatten sie ein Beispiel an unserer (der polnischen) Armee, welche auf dem Glatteis Attacken ritt und mit denselben hundert Geschützen zurückkehrte, mit denen sie ausgerückt war, obwohl sie denselben Frost, Schnee und Glatteis zu überwinden hatte wie alles übrige. Die Franzosen behaupteten, daß die Eisen mit Stollen Pferde schwächen und schädigen, und blieben dabei. Und dieser Hartnäckigkeit oder Nachlässigkeit müssen die Franzosen den Verlust vieler Geschütze und Fahrzeuge sowie die Unfähigkeit ihrer Kavallerie zu attackieren zuschreiben.
    Doch zurück zu der zusammengedrängten Masse von Wagen, Pferden und Menschen. Als die Wagenführer sich überzeugt hatten, daß es unmöglich wäre, den Ponariberg zu gewinnen, die Kosaken den ganzen Train mit Kugeln überschütteten und immer kühner angriffen, da erscholl der verhängnisvolle Ruf sauve qui peut (rette sich, wer kann) , das Zeichen allgemeiner Auflösung. Man begann auszuspannen, um wenigstens die Pferde zu retten. Wer teure oder notwendige Habseligkeiten auf den Karren hatte, versuchte, sie eiligst herunterzuzerren. Die Gardisten brachen die kaiserliche Kasse auf und raubten das in Fäßchen verpackte Gold. Nachdem sie genug erbeutet hatten, zogen sie weiter und überließen den Rest der Beute andern. So begann schon hier der Raub, über den kaiserlichen Schatz fielen nun alle her. Massen von Napoleon d’ors wurden in den Schnee getreten, die ganzen Reichtümer der kaiserlichen Equipagen waren bis aufden letzten Rest ausgeplündert. Tafelsilber, reich gestickte Uniformen, Juwelen, Tabaksdosen, Uhren, Gold, alle diese Kostbarkeiten wurden die Beute der Räuber, unter denen mancher so beladen war, daß er sich kaum rühren konnte und seine Habsucht mit dem Tode durch eine Kosakenkugel büßte. Der Rest der Schätze fiel den Kosaken in die Hände, mit ihnen auch diejenigen, welche, zu schwer beladen, nicht marschfähig waren.«
    »Man sah Dinge, die an das Unglaubliche grenzten«, schreibt Generalmajor Wilhelm von Hochberg. »Hier wurden Kisten und Kasten aufgeschlagen, deren Eigentümer noch zu retten suchten, was sie vermochten; dort wurden Geldwagen geplündert, in welche sich Soldaten stürzten, von den Nachdrängenden kopfüber in dieselben geworfen, so daß ihre Füße nach oben standen. Ich sah Soldaten, welche der Last ihres mit Silbergeld vollgepackten Tornisters erlagen und nun wieder auf die schändlichste Art von den Vorübergehenden mißhandelt wurden. Damen in leichten Schuhen verließen ihre Wagen und suchten sich ungeachtet der Kälte, die 27 Grad (Reaumur = 34 Grad Celsius) erreichte, zu Fuß zu retten. Kurz: Das menschliche Elend zeigte sich in allen Gestalten.«
    Sergeant Bourgogne von der Kaisergarde umging die gefährliche Straße und wählte einen Weg durch den die Straße rechts und links flankierenden Wald. Das war sein Glück, denn er entdeckte dort einen in einen Graben gestürzten Wagen voller Mantelsäcke. Mit Hilfe eines Krankenwärters aus Wilna konnte er einen bergen: »Derselbe barg das Schönste, was ich mir hätte wünschen können, nämlich vier herrliche Leinwandhemden und außerdem ein Paar kurze Kniehosen vom Baumwollstoff. Das Gepäckstück trug die Signatur eines Verwaltungsbeamten. Beglückt packte ich meine Schätze in den Tornister, mit Wonne den Augenblick ersehnend, wo ich meine von Ungeziefer wimmelnden Lumpen ins Feuer würde werfen können.«
    »Es war eine wahre Beresina«, fand Heinrich von Brandt,»nur daß hier die Bestialität der Taugenichtse und Plünderer noch mehr hervortrat.« François Bourgogne traf einen alten Regimentskameraden wieder: »Er ging sehr gebückt unter einer Last, die er auf den Schultern und dem Tornister zu tragen schien. Ich strengte mich an, ihn einzuholen, und sah nun, daß die Last ein Hund und der Mann ein alter braver Sergeant namens Daubenton war, der schon den Feldzug nach Italien mitgemacht hatte. Ich drückte ihm mein Erstaunen aus, daß er sich mit einem Hunde beschwert hatte, wo er sich selbst kaum schleppen

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