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Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug

Titel: Die Verlorenen - Die Soldaten in Napoleons Russlandfeldzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckart Klessmann
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Scharen war bekannt geworden. Diese bejammernswerten Reste der großen Armee gaben Bild und Zeugnis des unbeschreiblichen Elendes, welches sie ausgestanden und dem Hunderttausende qualvoll erlegen waren. Man sah ein Gottesgericht in diesen großen Ereignissen, und der Eindruck davon war ein tiefer und gewaltiger.«
    Wenn Ludwig Richter die Franzosen als »Brot- und Bratenverächter« bezeichnet, so spielt er damit auf die Einquartierung an, bei der sich die Zwangsgastgeber auch noch zusätzlich gedemütigt fühlten, wenn die Besatzer damals die ihnen angebotene Nahrung oft als nicht qualitätvoll genug aus dem Fenster geworfen hatten. Das vorsätzliche Verderben von Lebensmitteln, die ja bei der Masse der Bevölkerung selbst knapp waren, erbitterte die Menschen damals außerordentlich, und nicht nur in Dresden. Auch die Schilderung von Gustav Nieritz, der ein halbes Jahr zuvor noch die stolze Farbenpracht der in Richtung Rußland Marschierenden bewundert hatte und nun die sich offen artikulierenden Feindseligkeit der Dresdner gegenüber den so drastisch gedemütigten Okkupanten miterlebt, spielt darauf an: »Bald aber langten schlimmere Nachrichten an, die man sich erst nur heimlich in die Ohren zu flüstern wagte, aus Furcht vor dem französischen Spionnetze, welches Napoleon über fast ganz Europa gezogen hatte. Nach und nach jedoch ward man beherzter, je niederschlagender und kläglicher die Neuigkeiten für die Franzosen lauteten. Man erzählte sich offen, wie die unüberwindliche Große Armee zwar nicht durch die Russen, wohl aber durch die Kälte und den Mangel zum Rückzuge gezwungen worden sei; wie zuerst die Pferde zu vielen Tausenden erfroren und ihnen dann die Menschen in gleicher Weise nachgefolgt wären; wie zuletzt die allein noch berittenen Offiziere, Generale und Marschälle ein heiliges Bataillon gebildet und den Kaiser schützend umgeben hätten, bis endlich Napoleon seine Armeeüberreste verlassen hätte und nach Paris zurückgeeilt wäre,um eine neue Armee aus der Erde hervorzustampfen. Nun begannen der Spott, die Schadenfreude, der Haß und der lange zurückgehaltene Grimm gegen die Fremdherrschaft ihr feiges Spiel, indem Zerrbilder über Napoleon, selbst über dessen Marschälle, Armee und deren schauervollen Rückzug, ferner Spottgedichte und aufreizende Schriften auftauchten und die Schaufenster der Buch- und Kunsthändler bedeckten. Später sahen wir selbst die traurigen Überreste der Großen Armee in dem kläglichsten Zustande zurückkehren. Die so pracht- und glanzvolle Ausrüstung war verschwunden und hatte einem nackten Elende Platz gemacht, das nun einen um so schroffern Gegensatz zu jener bildete. Die Trümmer der großen französischen Armee zeigten sich unsern Blicken als vereinzelte, langsam daherwankende Gestalten in dem abenteuerlichsten Anputze von der Welt, halb Mann, halb Weib: In Frauenröcken und Mannshosen, in Frauen-Umschlagetüchern und durchlöcherten Männermänteln. Anstatt der hohen Bärmütze des Gardegrenadiers, vor dessen bloßem Anblick schon der Deutsche ehemals zitterte, anstatt des gold- oder silberblinkenden Helms und des Tschakos deckte die geraubte Pelzmütze einer deutschen Bäuerin des Kriegers Haupt, unter welcher ein abgezehrtes, faltenreiches, gelbes und schmutzig beräuchertes Totenantlitz mit glanzlosen, tief eingefallenen Augen sichtbar wurde. Dieselben Lippen, welche früher den Namen Gottes dann nur ausgesprochen hatten, wenn ihnen der nur zu häufige Fluch Sacrenom de Dieu! entfuhr, öffneten sich jetzt zu einem zitternd kläglichen Miséricorde! Au nom de Dieu, donnez-moi quelque chose! (Erbarmen! Im Namen Gottes, geben Sie mir irgend etwas!) . Und die Hand, welche sonst die Speisen und den Gerstentrank ihrer deutschen Wirte durch das Fenster auf die Straße geworfen und die Geber derselben noch obendrein gemißhandelt hatten, streckte sich nunmehr aus, um dankbar eine kleine Gabe in Empfang zu nehmen.«
    Der sächsische Husar Theodor Goethe, 22 Jahre alt, seit Wochenvon Dysenterie und Fieber gequält, schleppte sich mit letzter Kraft weiter in seine thüringische Heimat nach Artern: »In dieser erbärmlichen, mit Ungeziefer bedeckten Kleidung, das Gesicht mit einem unförmlichen und verwilderten Barte ganz bedeckt, abgezehrt bis auf Haut und Knochen, hielt ich mit langsamen und schwankenden Schritten, gestützt auf einen Stock, meinen kläglichen Einzug in Artern. Frisch und gesund, keck in die Welt schauend, war ich stolz zu Rosse im Jahre 1811

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